Karfreitagsweg
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Ich weiß, dass du ihn gegangen bist. Deinen Karfreitagsweg. Er führt durch tausend Dornen. Es gibt keinen Weg vorbei, man muss mitten hindurch. Ich weiß es, weil auch ich meinen Karfreitagsweg gegangen bin. Wir gehen alle unseren Karfreitagsweg.
Manchmal scheint es, als seien ringsum nur Kälte und Dunkel. Manchmal watet man wie durch Asche, als ob alles, was einem lieb war, verbrannt ist. Und ganz sicher weiß man: Man kommt nicht unversehrt durch. Man wird verwundet werden.
Vielleicht bist du, gerade jetzt, wenn du das liest, mitten in deinem Dornengestrüpp. Du hast kein Schwert wie im Märchen, das dir die Schneise schlägt. Du hast nur die nackte Haut, und die reißt es dir auf, sie scheinen lebendig zu sein, die Zweige, sie umkreisen dich, sie wachsen auf dich zu und treiben immer neue Dornen. Vielleicht bist du auch schon gefallen, zweimal, dreimal, vielleicht denkst du, jetzt ist es aus und du schaffst es nicht weiter.
Aber ich sage dir: Gerade wenn du das denkst, gerade wenn Schmerz und Angst am lautesten schreien - dann musst du hinschauen. Ganz genau. Und lange. Denn vielleicht siehst du es zuerst nicht, das Licht, es ist so klein, aber schau hin: Es bewegt sich. Es wabert. Es lebt. Geh auf es zu, und wenn du nicht mehr gehen kannst, dann krieche. Aber kriech auf es zu.
Denn aus dem Licht heraus tritt einer, der auf dich wartet. Einer, der vor dir durch die Dornen gegangen ist. Du siehst es an den Wundmalen, so deutlich, als ob du deinen Finger in sie legen könntest.
Und er, der dir in seinen Wunden so ähnlich ist, sagt: „Ich bin gefallen wie du, zweimal, dreimal, und als ich nicht mehr gehen konnte bin ich gekrochen. Ich wurde verwundet wie du. Ich habe mit dir deine Angst gefühlt und deinen Schmerz gelitten. Und jetzt musst du verstehen, denn auch das ist ganz sicher: Der Schmerz wird verblassen, aber die Male bleiben. Sie erinnern daran, dass man nicht heil werden kann ohne verwundet worden zu sein.“
Und in seine verwundete Hand nimmt er deine verwundete Hand und führt dich, ganz behutsam, heim in das lebendige Licht, das keinen Abend kennt und keine Kälte und kein Dunkel, und dessen Abglanz uns – ganz sicher – in der Osternacht neu erstrahlen wird.
Acrylgemälde (50 x 50 cm) und Text von Melanie Schmider Osnabrück)