Johannes Jörg Schwöppe
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„Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen“
Brüchiger Untergrund - „Ich war fremd...“ (Mt 25, 35)
Zwischenmenschliche Brüche spielen für mich seit meiner Kindheit eine bedeutsame Rolle. Trotz oder gerade wegen „erfolgreicher“ äußerer Entwicklungen und „Karriere“ blieb immer ein innerer Abgrund dunkelkalt und gefühlt bodenlos, doch geschickt überdeckt von sozialen und weltlichen „Sicherheiten“. Obwohl in der Rückschau Gott immer wieder geduldig Hinweise gab, die innere Verletztheit aus früheren Zeiten als heilungsbedürftig anzunehmen, brauchte es noch weitere Einschläge in meine bunt colorierte Herzensmauer. 2013 schließlich – vor dem Hintergrund dramatisch erlebten Beziehungsgeschehens im Alter von 45 Jahren – wurde sie ganz heruntergerissen und ich erlebte heilsam, dass ich „nicht tiefer fallen konnte als in Gottes Hand“!
Aufbruch - „Die Stunde ist da, vom Schlaf aufzustehen“ (RB Prol 8)
Seit dieser Zeit hat sich meine bereits vorhandene mystische Sehnsucht in sehnendes Suchen und Fragen gewandelt, wohin mich Gott in meinem Leben führen will.
Diese Suche führte 2015 erstmalig zu Benediktinern, für zwei Wochen ins „Kloster auf Zeit“ in die Abtei St. Mauritius, Niederaltaich, wo ich überrascht war von der offenen, wachen, oft heiteren Art der Mönche. Ich lernte nicht nur die Intimität des Stundengebetes kennen, sondern auch, dass ich doch mit meiner katholischen und liturgischen „Grundausbildung“ endlich mehr von dem „verstand“, was mir dort angeboten wurde. Im Laufe des weiteren „Wiedersehens mit der katholischen Kirche“ konnte ich nun diesen zweiten Schlüssel, neben meinem ersten der Psychologie/Psychoanalyse, immer verlässlicher nutzen, um nicht nur das verkrustete Herz mit seinen (zwischen-) menschlichen Gefühlen, Regungen und Bindungen zu erschließen, sondern auch „die Seele“ ansprechen zu lassen. In den Begegnungen mit den Geistlichen wurde Gott über die katholische Sprachmelodie immer deutlicher in meiner Seele hörbar: „Ich bin der Ich bin (Exodus 3,14), in dem du gründest.“
Von Niederaltaich tief inspiriert besuchte ich in den nächsten Jahren dankbar viele andere, wahrlich gastfreundschaftliche Klöster und Einkehrzeiten. Dort wuchs die innere Gewissheit stetig, zurückzukehren in die katholische Kirche, aus der ich mit achtzehn Jahren nach neunjähriger Messdienerschaft als damals überzeugter Agnostiker ausgetreten war.
Der richtige Abzweig - „...und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt 25, 35)
In der Abtei Gerleve, in der ich auch 2018 rekonziliiert wurde, machte mich ein Flyer erstmals auf OblatInnen aufmerksam. Dort lernte ich Menschen kennen, die sich in dieser besonderen Weise mit einem Kloster verbunden haben. Wegen der für mich etwas zu großen Oblatengemeinschaft und räumlichen Distanz nach Gerleve, suchte ich nach entsprechenden Gemeinschaften in meiner Heimat. Erst Ende 2018 fand ich den Kontakt mit dem mir bis dahin interessanterweise verborgen gebliebenen Kloster der Benediktinerinnen vom Heiligsten Sakrament zu Osnabrück. Die Oblatenrektorin Sr. Ursula lud mich zum Kennenlerngespräch ein und die langsame Einführung in die damals achtköpfige Gruppe folgte, bevor die Probezeit - nach einer bewegenden Tauferneuerungsfeier – begann.
Zusammen mit einer weiteren Kandidatin und einer kürzlich Oblatin gewordenen Frau erteilte uns die Rektorin bis zur Oblation mehrere hochinteressante Einführungsstunden in die benediktinische Spiritualität.
Der Kontakt zum Kloster besteht seither vor allem im regelmäßigen Besuch der verschiedenen Horen, in vereinzeltem E-Mail-Kontakt und kurzen Begegnungen mit einzelnen Schwestern und Mit-OblatInnen. Heilfroh bin ich darüber, dass uns die Gebetsteilnahme auch unter der Pandemie möglich blieb. Seit kurzem darf ich gelegentlich im Klostergarten arbeiten, was eine besonders erhebende Freude im Sinne der labora ist (RB 48,1), da der „Große Gärtner“ besonders sinnlich erfahrbar ist: Nun geht der Mensch hinaus an sein Tagwerk, an seine Arbeit bis zum Abend. Wie zahlreich sind deine Werke, Herr, sie alle hast du mit Weisheit gemacht, die Erde ist voll von deinen Geschöpfen (Ps 104, 23-24).
Benediktinisch leben - unter der Führung des Evangeliums (RB 21)
Die benediktinische Spiritualität im Wechsel zwischen Kontemplation, Arbeit und Lesung einerseits, sowie zwischen Gemeinschaft und dem Allein-vor-Gott-Sein andererseits, ist für mich ein Ideal ausgewogener Lebensgestaltung. Die väterliche Weisheit und discretio (RB 64, 19) - das Abwägen des rechten Maßes - in Benedikts Regel ist nach meiner Erfahrung den Ordensleuten anzuspüren. In mir wuchs das Bedürfnis immer mehr, mich mit „einem solchen“ Konvent v.a. in der Gebetsgemeinschaft und im geistlichen Gespräch zu verbinden.
Im Austausch mit der Oblatenrektorin, der Priorin und in unserer OblatInnen-Gruppe, erfuhr ich immer wieder derartige Herzensöffnungen, dass sich im inzwischen warm von Gott gefüllten Seelengrund - nun kein Abgrund mehr - die Kraft des Heiligen Geistes entfaltete.Die erste Phase der Probezeit war geprägt von der lernenden Ausrichtung auf das benediktinische Leben, dem Stundengebet und der Liturgie sowie der Suche nach Formen, das Gebet in meinen ziemlich komplexen Alltag mit Patchwork-Familie und Beruf zu integrieren.
Ich vertiefte mich in die Regel Benedikts, die mir sowohl eine geistliche als auch eine alltägliche Lebensanweisung bietet, die ich – wie alle OblatInnen – in mein individuelles Leben übersetzen muss. Hierbei helfen mir die Erfahrungen anderer OblatInnen und Bücher, wie z.B. von Esther de Waal: Gott suchen im Alltag.
Die Regel-Kapitel „Werkzeuge der geistlichen Kunst“ (RB 4), „Gehorsam“ (RB 5), über das Hören (RB Prol 1-21, RB 71), „Demut“ (RB 7) und nicht zuletzt den Eigenbesitz (RB 33) sprechen mich innerlich besonders an. Folgende äußere Veränderungen in meinem Privatleben sind davon abgeleitet: 1.) regelmäßiges Beten und geistliche Lesung, 2.) Wechsel zu einer reduzierten, inzwischen vegetarischen Ernährung, 3.) frühes Aufstehen und Schlafengehen, 4.) vermehrter Rückzug von „oberflächlichen“ Aktivitäten und Kontakten hin zum Schweigen und 5.) die kontinuierliche Reduktion materieller Güter. Das „rechte Maß“ muss dabei immer wieder neu erwogen und gefunden werden. Ich möchte die leise Freude, die Liebe und den Frieden, die aus Gott entspringen, mehr und mehr als innerliche Quelle sprudeln lassen. Insbesondere die Natur möge vermehrt wieder mein Ort der Herrlichkeit Gottes werden – dort, wo schon als Kind das Bedürfnis zu jubeln und lobpreisen in meinem Herzen war.
Beten – ora
Vor einigen Jahren hätte ich nicht geglaubt, wie wichtig mir einmal der gemeinsame Chorgesang werden würde. Unsere Schwestern singen wunderschön und die Teilnahme im Chorgestühl hat eine besondere Nähe. Das Gebet der Psalmen ist im Laufe der Zeit immer mehr das Beten geworden, dass mich am tiefsten in die Innerlichkeit mit Gott führt. Es ist eine selige Gewissheit, dass uns dieser Gebetsstrom erdumspannend und stetig umgibt. Bei der Eucharistischen Anbetung und während Wanderungen bete ich gerne das Herzensgebet. Beim privaten (Stunden-) Gebet in meinem vollen Alltag einen regelmäßigen Takt einzuhalten, ist schwierig.
Trotz eines eigenen „Stillen Raums“ gelingt mir die innere Fokussierung dort angesichts der gespürten Präsenz von Familie und Aufgaben oft nicht wie erhofft. Ich weiche daher auch auf andere Möglichkeiten aus, um in Kontakt mit Gott zu kommen: Stoßgebete, Jesusgebet, meditatives Waldwandern, ausschließliches Zu-Hören von Liturgie und Chorälen, Schreiben meiner Gedanken an Gott, Sprechen mit Gott während Handarbeiten (Garten, Haushalt), einfaches „Sitzen vor Gott“ oder Nutzen der Stundengebets-App in Wartesituationen. In kontemplativen Solo-Auszeiten ist das anders: Hier bilden alle Horen ein verlässliches Gerüst für den gesamten Tag.
Und unser Münsterschwarzacher Antiphonale auf meiner „Seeleninsel“ Kreta in den Bergen, am Meer oder in den zahlreichen kleinen und oft uralten orthodoxen Kapellen zeitgleich mit der Gebetsgemeinschaft zuhause zu beten, ist wahrhaft himmlisch! Ich spüre dann, dass nicht nur wir beten, sondern auch die Menschen, die in den letzten Jahrhunderten dort waren - und: Die Natur selbst atmet hier in besonderer Weise aus und zu Gott!
Lesung – lectio divina
Ich lasse mir die Bibel bislang (noch) am liebsten von erfahrenen und theologisch gebildeten Autoren vermitteln. In deren weisen Auslegung und Erläuterung fühle ich mich (elterlich) begleitet, ermutigt, hinterfragt, herausgefordert. Vor kurzem habe ich mich entschlossen, das Fernstudium der Domschule Würzburg aufzunehmen, um mein theologisches Verständnis und die Glaubenskommunikation zu verbessern.
Ich erlebe Bibel-Teilen als sehr fruchtbar. Oft bin ich fasziniert von der Autorität und Wirkmacht, der Poesie, Lyrik oder Symbolik der biblischen Sprache. Im OblatInnen-Kreis tauschen wir uns in sehr feiner und intensiver Weise über geistliche Texte aus. Diese geistliche Intimität kenne ich sonst nirgendwo und sie ist ein glücklicher Schatz des Oblate-Seins.
Eugen Drewermann hat in seiner m.E. herausragenden Synthese von Psychoanalyse und Bibelexegese mein theologisches und inneres Erfassen des Heilswirkens Gottes in Jesus Christus sehr tief beschenkt.
Ich treffe manchmal auf Textstellen, gelegentlich auch nur einzelne Worte, die es ganz besonders tief in sich haben. Diese schreibe ich mir gerne für einige Zeit in mein Tagebuch oder fotografiere sie ab, damit sie mich eine Weile begleiten, mich wiederholt ansprechen und in mir wirken. Die Bedeutung des Begriffes vom „Wort Gottes“ hat sich seit der intensiveren Beschäftigung mit der Bibel sehr verstärkt. Gerade in einer eher assoziativen Betrachtung und dem „Wiederkäuen“ von Worten kann sich nach meiner Erfahrung mehr als Verständnis und Gefühl entfalten: Inspiration im tiefen Sinne des Wortes – das Wirken des Heiligen Geistes.
Arbeiten - Gott preisen und den Menschen dienen
Während einer meiner regelmäßigen Rückzüge auf mein geliebtes Kreta fand meine bislang vorwiegend kontemplative Ausrichtung 2020 eine Wende durch eine dramatische Situation. Fast verloren an einer lebensgefährlichen Klippe frug Gott mich: „Wie hoch willst du noch hinaus, steige wieder herab und wende dich den Menschen zu, um ihnen zu dienen.“
So begreife ich nun meine Berufung als Familienvater und Partner tiefer. Ich möchte auch im Bereich „Psychotherapie, Spiritualität und geistliche Wegbegleitung“ meine psychotherapeutische Arbeit weiterentwickeln, um mehr auf existentielle oder spirituelle Fragen bei meinen Patienten horchen zu können.
Der Weg in der Kirche - laudetur Sanctissimum Sacramentum
Mein Leben und meine Person enthalten einige Merkmale und historische Fakten (Kirchenaustritt, Agnostizismus, viele Beziehungen, kirchlich getraut, jedoch geschieden, eine weitere uneheliche Tochter, Leben in neuer Partnerschaft, Verehrer der Drewermannschen Exegese...), die schwer vereinbar sind mit dem Katechismus der katholischen Kirche. Umso erstaunter und dankbarer bin ich ihr, den besuchten Klöstern und nicht zuletzt unserem Frauenkonvent, dass sie mich „Sünder“ aufgenommen haben: Hier lebt Jesus erfahrbar! Sein Wort – hoch oben und groß an einem Bistumsgebäude beim Osnabrücker Dom zu lesen – rührt mich daher immer wieder zu Tränen: „Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt 25, 35). Die offene Aufnahme in meine frühere Gemeinde hat heilsame Wirkungen auf frühere Frustrationen, z.B. von Nicht-Dazugehörigkeitserfahrungen. Sehr glücklich bin ich, zum Kommuniondienst in meiner Gemeinde beauftragt worden zu sein. Damit erhält die von unserer Ordensgründerin Mutter Mechtilde (Catharine) de Bar geprägte eucharistische Verehrung des Herrn für mich eine noch leibhaftigere Form.
Mystik der Beziehung - „In Deine Hände lege ich mein Leben.“ (Ps 31, 6) - pax!
Meine ganz persönliche - mystische - Erfahrung ist: Gott rettet und erlöst uns! ER ist der Beziehungsstifter hinter Allem. Aus der Bejahung des Geistes des Johannes-Evangeliums wählte ich meinen zweiten, meinen Taufnamen, als meinen Oblatennamen. Gott ruft uns in die Liebe zu und „hinter“ Allem und Allen, zu Ihm, in ein „Paradies“ der unbedingten gütigen Allverbundenheit.
Wenn ich in der Welt nach geistlichen Orten für mich suche, um dort für meinen Gottes- und Menschendienst beruhigt, geöffnet und genährt zu werden, dann muss dies ein Beziehungsort sein, wo also Gott in den dortigen Menschen und ihrem Wirken erfahrbar ist und die Leidenschaften befriedet ausatmen: PAX!
Mein Kloster ist ein solcher Ort - mein geistliches und liturgisches Zuhause.
Johannes, Oblate der Benediktinerinnen vom Heiligsten Sakrament, Osnabrück