Tagebucharchiv Juni - September - Benediktinerinnen Osnabrück

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Tagebucharchiv Juni - September

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Unser geistliches Tagebuch während der Corona-Krise

Dieser Blog ist in der Zeit entstanden, in der wir während der Corona-Pandemie auch bei uns im Kloster keine Messe feiern konnten. Wir haben täglich neben unserem Stundengebet Wortgottesdienste gefeiert, bei denen das Wort Gottes für uns eine noch größere Bedeutung gewonnen hat. Da dieser Blog, der als eine Art geistliches Tagebuch angelegt ist, guten Zuspruch gefunden hat, möchten wir ihn weiterführen. Gerne können Sie die Einträge, die etwa dreimal in der Woche geschrieben werden, auch per Mail zu geschickt bekommen, wenn Sie sich dafür hier anmelden: sr.ursula(at)osb-os.de.


Donnerstag, der 17. Dezember
 
 
In der Lesung aus dem Buch Genesis hören wir heute aus dem großen Segen, den Jakob vor seinem Tod über seine Söhne, die zwölf Stammväter, spricht, den Segen über Juda. Dort heißt es zum Abschluss: Nie weicht von Juda das Zepter, der Herrscherstab von seinen Füßen, bis der kommt, dem er gehört, dem der Gehorsam der Völker gebührt. Aus unserer christlichen Sicht ist mit dem, dem das Zepter Judas gehört, Christus gemeint. Jesus steht in der langen Folge der Nachkommen Jakobs und wie wir es in diesen Tagen noch hören werden, wird seine Herrschaft kein Ende haben.
 
Noch viel deutlicher wird diese Zugehörigkeit Jesu im heutigen Abschnitt des Matthäusevangeliums. Matthäus beginnt sein Evangelium mit dem sogenannten Stammbaum Jesu. Wir hören heute eine lange Reihe von Namen, von denen uns viele unbekannt sind. Ich liebe dieses Evangelium und freue mich jedes Jahr darauf, diese vielen Namen zu hören, angefangen mit Abraham, über David, über Joschija bis hin zu Jakob, der der Vater von Josef war, dem Mann Marias. Das sind dreimal 14 Generationen. Natürlich geht es hier nicht um einen realen, lückenlosen Stammbaum. Aber es kommen mit all diesen Namen Lebensgeschichten vor, Lebensgeschichte, die alles andere als heil und unbeschädigt waren. An den besonders brisanten Stellen kommen auch Namen von Frauen vor: Tamar, Rahab, Rut, Batseba, die nur als Frau des Urija aufgeführt wird – mit der David einen schlimmen Ehebruch begangen und den Urija hatte töten lassen – und schließlich Maria, von der Jesus geboren wurde.
 
Mit diesem Stammbaum wird deutlich, dass Gott seine Heilsgeschichte zum Ziel führt, auch wenn die Menschen untreu, sündig, aus fremder Nation oder von üblem Ruf sind. Das war von Abraham bis Jesus so und das geht mit den Jüngern weiter, die Jesus verraten, verleugnen und verlassen. Und es geht mit uns weiter, die keine bruchlosen Biographien anzubieten haben, die nicht frei von Sünde und Schuld sind. Auch mit uns schreibt Gott seine Heilsgeschichte weiter. Und das ist die zutiefst frohe Botschaft des heutigen Tages: Gott schreibt mit uns seine Heilsgeschichte für diese Welt weiter!
 
Wir danken Dir, Gott, unser Vater,
dass du mit uns Geschichte schreibst,
Geschichte, die mitwirkt am Heilwerden der Welt,
auch wenn dieses Heil für uns oft verborgen ist.
Lass uns vertrauen, dass du vollbringst,
was du uns zugesagt hast in Jesus, unserem Heiland und Herrn.
 

Mittwoch der dritten Adventswoche
  
Die Kombination der beiden Lesungen heute ist spannend und sehr bedeutungsvoll. In der Jesajalesung steht dreimal das Wort: Ich bin der HERR (bzw. Gott) und sonst niemand. Es geht hier um die Betonung des Monotheismus. Es gibt nur einen Gott und HERRN und das ist der Gott Israels. So ist auch der Satz am Anfang zu verstehen: Ich erschaffe das Licht und mache das Dunkel, ich bewirke das Heil und erschaffe das Unheil. Diese Aussage kann uns zuerst stutzig machen. Eigentlich gehen wir nicht davon aus, dass Gott das Unheil erschafft. Damit wird aber gesagt, dass es eben keinen anderen „bösen“ Gott gibt, der für das Unheil zuständig ist. Bei einer solchen Vorstellung würde man von einem dualistischen Weltbild ausgehen, in dem es eine gute und eine böse Sphäre gibt, für die einerseits Gott und andererseits ein sogenannter „Demiurg“ zuständig ist. Diese Vorstellung lehnt Israel entschieden ab und wir lehnen sie auch ab. Es gibt nur einen Gott! Somit bleibt unser Problem mit der Frage bestehen, woher das Böse und das Leid kommen. Aber das würde den Rahmen dieses Impulses sprengen.
Im Evangelium lässt Johannes der Täufer Jesus fragen, ob er der ist, der kommen soll. Damit ist der erwartete Messias gemeint. Jesus antwortet ihm auf seine Frage mit einer Anspielung an den Propheten Jesaja (z.B. Jes 29,18f.). Diese Stelle wird hier als messianische Verheißung gedeutet. Zugleich sind die Heilungen, die Jesus wirkt, aber mehr als ein messianisches Wirken. Gott sagt von sich, dass er das Heil wirkt und das Licht erschafft. Er selbst vollbringt die Gerechtigkeit und lässt das Heil aus der Erde hervorsprießen. Ja, Jesus ist der, der kommen soll, aber er ist noch mehr, er ist der, in dem Gott selbst handelt. Die frühe Kirche hat dafür die klare Entscheidung getroffen: Jesus ist wahrer Mensch und wahrer Gott, er ist der Sohn Gottes wie es kein anderer ist.
  
Ich möchte heute noch mal ein Gedicht mit Ihnen teilen, was ich schon im ersten Blog zitiert habe. Es ist mir sehr lieb und drückt sehr gut aus, wie ich diese Glaubensaussage verstehe:

Christus-Bekenntnis
Warum ich an ihn glaube
In deinen Blicken
der Mensch
In deinen Worten
Sinn
In deinen Händen
Leben
In deinem Sterben
Zukunft
In deinen Spuren
Gott.


17. September 2020, Donnerstag der 24.  Woche im Jahreskreis, Gedenktag der hl. Hildegard von Bingen

Die Liebe ist die Mitte
  
Zum Fest der heiligen Hildegard möchte ich Ihnen einen Abschnitt aus einem ihrer Texte schicken, der sehr innig von der Erschaffung des Menschen spricht. Leider kann ich nicht angeben, aus welchem ihrer Werke es stammt, da ich es selbst nur als Ausschnitt vorliegen habe.

Das Werk aller Werke Gottes aber ist der Mensch.
Wie wunderbar ist doch das Wissen im Herzen Gottes,
das urewig jedes Geschöpf hat erschaut!
Denn Gott, da er blickte ins Antlitz des Menschen
den er gebildet,
er sah all sein Werk insgesamt
in dieser Menschengestalt.
Wie wunderbar doch ist dieser Hauch,
der also den Menschen erweckte.
  
Da Gott so dem Menschen ins Antlitz schaute,
fand er an ihm sein Wohlgefallen.
 
Mit meinem Munde – spricht Gott – will ich
dieses mein eigentliches Werk zärtlich liebkosen,
jene Gestalt,
die ich aus Erdenlehm formte.
In unaussprechlicher Liebe
umarme ich sie und habe sie durch meinen feurigen Geist
verwandelt in Fleisch.
 
O Mensch, schaue dir diesen Menschen nur recht an!
Himmel und Erde und das Gesamt der geschaffenen Welt
birgt der Mensch in sich.
Und so ruht im Menschen eingeborgen das All.
Der geschaffene Mensch ist da wie ein Ruf, ein Schrei,
eine Stimme: O wie kläglich und zugleich wunderbar
ist diese Stimme, weil Gott solch gebrechliche Gefäße
mit all seinen Wundern unter die Sterne versetzt.
 
Alles Irdische ist Sprache der Liebe geworden,
da das Wort aus Liebe Fleisch geworden ist.
Gottes Menschwerdung im Wort ist
die große Mitteilung seiner Liebe.
In diesem Wort hat auch der Mensch
das Gewand seiner Liebe.
 
So ist die Liebe mitteninne:
Im Wesen des Menschen ist sie wie im Walten der Gottheit.
Liebe ist immer in der Mitte,
und sie breitet sich aus wie eine Flamme.
Liebe ist die Mitte.
 
Zugleich möchte ich mich jetzt für einige Zeit verabschieden und eine Pause einlegen. Voraussichtlich werde ich im Advent wieder zu schreiben beginnen.

Sr. Ursula Wahle OSB


14. September 2020, Fest Kreuzerhöhung
Kreuzerhöhung


Was den geschichtlichen Hintergrund des Festes Kreuzerhöhung angeht, möchte ich Ihnen die Einführung empfehlen, die dazu unter dem angegebenen Link im Schott zu finden ist. Vor meinem Eintritt ins Kloster war mir dieses Fest gänzlich unbekannt und ich vermute, dass es einigen Lesern genauso geht.
 
Die Leseordnung bietet uns heute eine klassische Verbindung zwischen Altem und Neuem Testament. Dabei legen sich beide Texte gegenseitig aus. Aus dem Buch Numeri wird uns von den Feuerschlangen berichtet, die das Volk in der Wüste bissen und töteten. Mose formte eine Schlange aus Kupfer, hängte sie an einer Stange auf und jeder, der zu ihr aufblickte, wurde gerettet. Im Johannesevangelium wird Jesus, der erhöht am Kreuz stirbt mit dieser Kupferschlange verglichen. Dabei geht der Vergleich hier vom Geringeren (der Schlange) zum ungleich Höheren, zu Jesus, dem Sohn Gottes.  Und dann heißt es: … damit jeder, der an ihn glaubt, in ihm das ewige Leben hat.

Welches Aufblicken zum Gekreuzigten ist hier gemeint? Es ist ein Blick des Vertrauens, der Hoffnung, ein Blick aus großer Not, aus der Bedrohung durch den Tod. Kennen Sie ein sogenanntes Pestkreuz? Diese Kreuze sind in Zeiten der Pest entstanden, als die Menschen unsägliche Not gelitten hatten und vom Tod bedroht waren. Der Blick auf den ebenso leidenden Jesus am Kreuz, konnte diesen Menschen Trost schenken. Da geht es dann nicht mehr um erhabene Glaubensbekenntnisse, sondern nur darum, auf einen zu schauen, der meine Not und Angst kennt und von dem ich mich nicht verlassen fühle.

Ich möchte dazu etwas aus meiner Erfahrung mit einem mir nahestehenden Menschen erzählen. Vor einigen Monaten ist L. gestorben, ganz tragisch und allein in der Nacht. Sie war obdachlos und ich kannte sie seit längerer Zeit, weil sie in der Nähe unseres Klosters lebte. Wenn sie zu uns an die Pforte kam, dann stand sie immer unter dem großen Kreuz, das dort hängt. Anfangs hat sie es mit einer gewissen Skepsis betrachtet, aber je länger sie kam und je schwerer ihr Leben wurde, umso mehr hat sie sich Jesus, dem Gekreuzigten zugewandt. Sie hat seine Füße berührt und ihn liebevoll angeschaut. Sie fühlte offensichtlich eine innere Verbundenheit mit ihm. Sie hatte Mitleid mit Jesus und spürte, dass er auch mit ihr litt. Nach ihrem Tod haben wir dort eine kleine Trauerfeier gehalten und wieder zu Jesus aufgeblickt und ihm L. anvertraut. Sie hat zu ihm aufgeblickt und ihm vertraut und ich bin gewiss, dass er für sie gestorben ist, damit sie durch ihn das Leben hat.

Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt,
damit er die Welt richtet,
sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.
 
Der nächste Eintrag kommt zum Donnerstag.

Sr. Ursula Wahle OSB


12. September 2020, Samstag der 23. Woche im Jahreskreis

Auf den Felsen bauen
 

Wir hören heute den Schluss der Feldrede aus dem Lukasevangelium. Darin spricht Jesus uns vom Haus, das auf den Felsen gebaut ist und von einem, das ganz ohne Fundament gebaut wurde und deshalb beim Anprall einer Flutwelle umstürzte.

Ich erinnere mich bei diesem Evangelium immer an ein Bild, das ich vor vielen Jahren gesehen habe. Es ist das Bild eines peruanischen Wallfahrtortes. Dort gibt es auf einen Felsen gemalt ein Christusbild, das als heiliges Bild Jesu verehrt wird. Ich erinnere mich noch gut an diesen nackten Felsen, auf dem der Gekreuzigte zu sehen war. Schon damals kam mir diese Stelle aus dem Evangelium in den Sinn: Jesus selbst ist der Fels, auf den wir unser Haus bauen können. Dabei ist der am Kreuz Gestorbene ja nach menschlichen Maßstäben gerade kein Fels, sondern hat auf dem Felsen Golgotha sein Leben für uns hingegeben. Wir kommen am Fest Kreuzerhöhung nochmal darauf zu sprechen.

In einem anderen Wort aus dem heutigen Evangelium geht es darum, dass aus einem guten Herzen Gutes hervorgeht und aus einem bösen Herzen Böses. Damit berühren wir ein zentrales Thema des Mönchtums. Die frühen Mönche in der Wüste haben die Gedanken des Herzens sehr genau beobachtet und dabei festgestellt, dass es die Art von Gedanken gibt, die uns von Gott entfernen und schließlich ganz besetzt halten können. Sie haben diese Gedanken sogar in Kategorien gefasst und dann auch Methoden entwickelt, wie wir diesen Gedanken widerstehen können. Es ist ein Kampf, der das ganze Leben lang andauert und mit der Hilfe Gottes zur Reinheit des Herzens führen kann. Benedikt spricht in seiner Regel in einer Andeutung davon, wenn er im 4. Kapitel schreibt, dass wir die bösen Gedanken, die im Herzen aufsteigen, sogleich an Christus zerschmettern sollen. Da haben wir auch wieder das Bild vom Felsen, denn Christus ist der Fels, an dem wir unsere bösen Gedanken zerschmettern können. Das Bild mag stark klingen und vielleicht sogar etwas gewaltig. Es ist ein Bild des geistlichen Kampfes und greift auch etwas von der Ernsthaftigkeit des Evangeliums von heute auf.

Jesus, in deiner ganzen Schwachheit bist du uns zum Felsen geworden,
zum Felsen, auf den wir unser Leben bauen können.
Gerade deshalb kann ich in Stunden der Anfechtung,
wenn die Wassermassen auf mich einstürmen,
dir vertrauen -
denn du bist mir darin nahe.

Der nächste Eintrag kommt zum Montag.

Sr. Ursula Wahle OSB


9. September 2020, Mittwoch der 23. Woche im Jahreskreis

Selig, ihr Bedürftigen
 
 
Die Seligpreisungen, die wir heute aus dem Lukasevangelium hören, unterscheiden sich in mancher Hinsicht von denen, die wir aus der Bergpredigt bei Matthäus kennen. U.a. spricht Jesus seine Hörer hier direkt mit „ihr“ an. In der Einleitung scheint es so als spräche Jesus nur zu den Jüngern, aber das kann eigentlich nicht sein, wenn man den Inhalt anschaut, besonders im Hinblick auf die Weh, euch – Worte am Schluss. Auf jeden Fall hat diese direkte Anrede die Wirkung, dass auch wir uns direkt angesprochen fühlen. Wir können da nicht ausweichen und sagen, wir seien vielleicht nicht gemeint.
 
Vor einiger Zeit fiel mir ein eine alternative Übersetzung zu den „Armen“ ein. Wenn wir arm sind, dann sind wir bedürftig. Mit den seliggepriesenen Armen sind wohl diejenigen gemeint, die sich ihrer Bedürftigkeit vor Gott bewusst sind. Wie sonst sollte zu verstehen sein, dass ihnen das Reich Gottes gehört? (Materielle Armut allein macht noch nicht offen für Gott.) Der Gegensatz dazu ist der Reiche, der sich alles selbst beschaffen kann und niemanden braucht, am wenigsten Gott. Das ist natürlich jetzt sehr holzschnittartig beschrieben und eine schwarz-weiß Gegenüberstellung liegt mir fern. Wir sind alle mal arm und mal reich. Die Frage ist nur, ob wir uns dessen auch bewusst sind. Ich finde es ehrlich gesagt nicht sehr angenehm, mich in einer existentiellen Bedürftigkeit vorzufinden. Und es braucht schon Demut, um mir einzugestehen, dass ich ohne die Hilfe Gottes aus meiner Misere nicht herauskomme. Aber gerade dann wird uns zugesagt, dass uns das Reich Gottes gehört. Vielleicht müssen wir es immer wieder am eigenen Leib erfahren, um diesen scheinbaren Widerspruch zu glauben.
Und darüber hinaus haben diese Seligpreisungen der Armen, der Hungernden, der Weinenden auch eine eschatologische, eine endzeitliche Dimension. Rein innerweltlich sind sie nicht zu verstehen. Auch die Wehe-Worte, die sich anschließen verweisen auf eine Zukunft, die uns noch verborgen ist. Und auch da sind wir mit dem „ihr“ unausweichlich angesprochen.
 
Im Moment trösten mich die Wehe-Worte fast ein bisschen, denn zu Lachen haben wir in der Kirche im Moment wirklich nicht viel. Da werden wir eher mit unserer aller existentiellsten Armut konfrontiert. Vielleicht dürfen wir uns dann auch an die Seligpreisung erinnern und dem scheinbaren Widerspruch glauben, dass uns das Reich Gottes zugesagt ist, wenn wir unsere Armut annehmen – so schwer es auch sein mag.
 
Schenke uns, Herr, das Vertrauen,
dass du gerade jetzt bei uns bist.
Lass nicht zu, dass wir mit dem Finger auf die vermeintlich Schuldigen zeigen.
Vereine uns im Gebet um das Kommen deines Reiches mitten in unserer Misere.

Der nächste Eintrag kommt zum Samstag.
Sr. Ursula Wahle OSB


6. September 2020, Sonntag der 23. Woche im Jahreskreis
Umkehr zum Leben
 
 
Die heutige Stelle aus dem Matthäusevangelium hatten wir vor Kurzem schon mal an einem Wochentag und ich habe etwas zu der Schwierigkeit geschrieben, einen anderen Menschen auf einen Fehler oder eine Sünde – denn so steht es im Evangelium – anzusprechen.
 
Nun habe ich nachgesehen, in welchem Kontext diese Worte stehen. Und das fand ich spannend. Vor dem Abschnitt, der mit „brüderliche Zurechtweisung“ überschrieben ist, steht das Gleichnis vom verlorenen Schaf. Es endet mit den Worten: So will auch euer himmlischer Vater nicht, dass einer von diesen Kleinen verloren geht. Damit ist die Tonart angegeben, in der wir das Folgende hören sollen. Es geht darum, einem Menschen nachzugehen, ihn zu suchen, und ihn davor zu bewahren, verloren zu gehen. Ja, wir haben unsere Schwierigkeiten damit, uns überhaupt vorzustellen, jemand könnte verloren gehen. Und tatsächlich schließt sich an diese Stelle dann auch die Aufforderung an, nicht nur siebenmal zu vergeben, sondern siebzigmal siebenmal. Das ist das Maß Gottes, das auch wir anlegen sollen.

Wie schon Jesus auf Erden Sünden vergeben konnte, so gibt er diese Vollmacht an die Kirche weiter. Dabei möchte ich vor allem darauf schauen, dass Jesus in seiner Kirche so gegenwärtig ist (auch wenn das derzeit ziemlich verdunkelt zu sein scheint), dass er weiterhin in ihr Sünden vergibt. Wir alle leben aus dieser Vergebung und mir scheint, dass die Bereitschaft, zu vergeben noch wichtiger ist als die die Aufforderung, zurechtzuweisen.
Wenn ich überlege, was ich als aufbauende Botschaft aus dem heutigen Evangelium mitnehmen kann, dann ist es tatsächlich der Kontext und die darin verborgene Zusage: Gott liegt alles daran, dass ich mich von ihm finden lasse, dass ich bereit bin zu hören, wenn mich jemand in Liebe zurechtweist (das kann sehr schwer sein …) und dass mir siebzigmal siebenmal vergeben wird!

Schenke, Herr, uns, deiner Kirche, das Vertrauen,
dass du uns zur Umkehr führen willst,
damit wir das Leben haben
und es in Fülle haben.

Der nächste Eintrag kommt zum Mittwoch.

Sr. Ursula Wahle OSB


2. September 2020, Mittwoch der 22. Woche im Jahreskreis

Dem Leben dienen

 
Ich bin irgendwie erleichtert, weil wir bei den täglichen Evangelienabschnitten nun von Matthäus wieder zu Lukas übergegangen sind. Matthäus überliefert uns sehr viele Reden Jesu und zuletzt hatten wir die Weherufe gegen die Pharisäer. Keine leichte Kost und das hatte ich ja auch geschrieben.
 
Ganz anders bei Lukas, der Evangelist, der uns Jesus als Arzt, als Freund der Armen und Kleinen und der Frauen beschreibt. So hat jeder Evangelist seinen eigenen Schwerpunkt und bei allen können wir eine Seite Jesu besonders deutlich erkennen. Der heutige Abschnitt aus dem Lukasevangelium zeigt uns den heilenden Jesus.
 
Schauen wir auf die Heilung der Schwiegermutter des Petrus. Sie hatte hohes Fieber. Das war in der damaligen Zeit ein Zeichen für eine schwere Erkrankung, an der ein Mensch auch leicht sterben konnte. Es ist also ernst. Die Jünger bitten Jesus, ihr zu helfen. Was gehört alles zu so einer Bitte dazu? Zunächst sicher der Blick auf die Kranke, das Mitgefühl, die Sorge. Und dann der Blick auf Jesus, von dem sie Hilfe erhoffen. Das scheint mir ganz wichtig. Der Blick auf Jesus. Wie oft, sehe ich eine Not, eine eigene oder eine fremde, und vergesse den Blick auf Jesus? Ich fühle mich angesprochen, versuche zu helfen und das ist bestimmt nicht verkehrt. Aber wie oft stehe ich auch vor Situationen, in denen ich gar nicht weiß, was ich machen soll? Sie baten ihn, ihr zu helfen. Das ist Fürbitte.

Jesus geht zu der kranken Frau und beugt sich über sie. Er kommt ihr nah, er wendet sich ihr zu, streicht ihr vielleicht das schweißnasse Haar aus der Stirn. Und dann kommt etwas Merkwürdiges: Er befiehlt dem Fieber, zu weichen. Hier will Lukas uns die Vollmacht Jesu vor Augen führen, der den „Widermächten“ befehlen kann. Weiter unten wird in diesem Sinne auch von Dämonenaustreibungen berichtet.

Und dann steht die geheilte Frau auf und sorgt für Jesus und seine Anhänger. Durch die Heilung ist die Frau wieder dazu fähig, sich einzubringen, aktiv am Leben teilzunehmen und mit dem, was ihr zur Verfügung steht, Jesus zu dienen. Dankbar darf ich sagen, dass ich in meinem Leben noch nicht viel krank war. Aber ich kenne dieses Gefühl, an der aktiven Mitgestaltung von Leben gehindert zu sein. Das blockiert alle Lebensenergien und kostet letztlich viel mehr Kraft, als sich aktiv einbringen zu können. Jesus befreit dazu. Ist das nicht auch vollmächtiges Handeln? Und hat Jesus nicht auch uns die Vollmacht gegeben, Menschen zum Leben und zur aktiven Mitgestaltung von Leben zu befreien?
 
Herr, lass mich heute dankbar sehen, wo ich dem Leben dienen kann.
Lass mich die Kraft spüren, die in mir steckt,
und lass mich die Gelegenheiten erkennen, bei denen ich dir dienen kann.
 
Der nächste Eintrag kommt zum Sonntag.

Sr. Ursula Wahle OSB


30. August 2020, Sonntag der 22. Woche im Jahreskreis

Leben gewinnen


Machen wir uns doch nichts vor: Mit dieser zentralen Aufforderung Jesu widerspricht er allem, womit man Menschen anlocken kann. Wer will sich selbst verleugnen, eine schwere Last tragen und sein Leben verlieren? Niemand! Können wir nicht alle Petrus sehr gut verstehen, der sagt: „Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf mit dir nicht geschehen (und mit uns auch nicht)!“?

Die frühe Kirche hatte eine sehr starke Ausrichtung auf das Leben über den Tod hinaus, wir sprechen hier von der eschatologischen Dimension. Im Mönchtum war die auch immer sehr lebendig und sie ist es auch heute noch. Im Laufe meiner Klosterjahre durfte ich viele Schwestern bis zum Tod begleiten und habe oft an offenen Särgen gestanden. Ich habe auch schon liebe Freunde verloren. Und ich habe mit manchen von ihnen noch eine Beziehung und freue mich sehr auf ein Wiedersehn. Das kann man für naiv halten, für Projektion von Wünschen oder wie auch immer. Ich glaube an ein Leben nach dem Tod und ich glaube an das, was Jesus hier im Evangelium sagt: Wer sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden.

Nein, Kreuz tragen macht mir wirklich keine Freude und ich weiß, dass ich dem auch immer wieder versuche auszuweichen. Aber mir hilft die Perspektive, die über dieses und die über mein eigenes Leben hinausgeht.
Unter der Voraussetzung, dass es noch eine andere Dimension von Leben gibt, zu der wir erst im Durchgang durch den Tod einen bleibenden Zugang bekommen, macht Leben für mich Sinn. Und ich möchte heute so leben, dass zu der Gemeinschaft derer, mit der ich „die Ewigkeit verbringen werde“ (und die beginnt ja schon heute und hat auch mit den Lebensbedingungen heute zu tun) so viele Menschen wie nur eben möglich Zugang gewinnen. Das möchte ich mir auch was kosten lassen. Jesus hat es sich jedenfalls alles kosten lassen, dass wir mit ihm das Leben gewinnen!

Du, Herr, bist das Leben, aus dem ich lebe.
Lass mich das immer wieder erfahren,
besonders wenn mein Weg mühsam wird und die Last schwer.
Lass mich nie den Sinn und das Ziel aus den Augen verlieren!

Der nächste Eintrag kommt zum Mittwoch.     

Sr. Ursula Wahle OSB


28. August 2020, Freitag der 21. Woche im Jahreskreis, Hl. Augustinus

Augustinus
  
Heute feiern wir den Gedenktag des Kirchenvaters Augustinus von Hippo. Es gibt einige Kirchenväter oder auch Päpste, die den Titel „der Große“ bei ihrem Namen tragen, so z.B. Basilius von Cäsarea oder Papst Gregor, dem wir auch die „Lebensbeschreibung“ des heiligen Benedikt verdanken. Von Augustinus kann man vielleicht sagen: Er hat bis heute eine solche Bedeutung für Theologie und Kirche, dass sich die zusätzliche Bezeichnung „der Große“ erübrigt. Vor Jahren habe ich mal im Katechismus der katholischen Kirche nachgeschaut, welche Schriften, wie oft zitiert werden. Neben der Heiligen Schrift und Konzilsdokumenten, kommen Augustinus noch ca. 1600 Jahre nach seinem Tod  (+ 430) mit Abstand die meisten Zitate zu. Das nenne ich „Nachhaltigkeit“ ….!
 
Seine berühmteste Schrift sind „die Bekenntnisse“ (Confessiones), ein autobiographisches Werk, in dem er (im ersten Teil) von seinem Weg der Gottsuche und des Ringens um den Glauben an Christus spricht. Das Zeugnis, das er dabei ablegt, ist so authentisch und ehrlich, dass es bis heute Menschen berührt. Dabei geht Augustinus auch vielen grundsätzlichen Fragen nach, besonders der Frage nach dem Zueinander der Gnade Gottes und den menschlichen Abgründen, die er in sich überdeutlich erkannt hat. Eine Frage, die ihn durch die verschiedenen philosophischen und christlichen Schulen führte, war die Frage nach dem Ursprung des Bösen. Die Antwort fand er schließlich in philosophischen Erwägungen. Aber Jesus Christus, den Erlöser und Retter hatte er damit noch nicht gefunden. Erst als Augustinus erkannte, dass Jesus Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, wonach er sich so sehr sehnte, fand er seinen Frieden und ließ sich taufen.
 
Das Besondere an den Bekenntnissen liegt darin, dass Augustinus immer wieder direkt zu Gott spricht, also betend bekennt. Hier ein Abschnitt, der das zeigt:
Schon hattest du also, mein Helfer, mich aus diesen Banden befreit, während ich auf der Suche nach dem Ursprung des Bösen war. Doch kein Ausweg zeigte sich. Nur ließest du nicht zu, dass meine umherschweifenden Gedanken mich von dem Glauben entfernten, kraft dessen ich festhielt: dass du bist, dass dein Wesen unveränderlich ist, dass du dich um die Menschen kümmerst und sie richtest und in Christus, deinem Sohn, unserem Herrn, und in den Heiligen Schriften, wie die Autorität deiner heiligen katholischen Kirche sie darbietet, den Weg des Heils zu dem Leben angelegt hast, das nach dem irdischen Tode folgt. […] Während ich in der Stille inständig suchte, drang es laut zu deinem Erbarmen empor: das stumme Zermalmtwerden meines Geistes, du allein wusstest, was ich litt, aber keiner der Menschen. (Buch VII, Kap VII)
Atme in mir, du heiliger Geist,
dass ich Heiliges denke.
Treibe mich, du heiliger Geist,
dass ich Heiliges tue.
Locke mich, du heiliger Geist,
dass ich Heiliges Liebe.
Stärke mich, du heiliger Geist, dass ich Heiliges hüte.
Hüte mich, du heiliger Geist,
dass sich das Heilige nimmer verliere.
Amen. (Augustinus)
 
Der nächste Eintrag kommt zum Sonntag.     

Sr. Ursula Wahle OSB


25 August 2020, Dienstag der 21. Woche im Jahreskreis

Der fremde Jesus


Mit diesen Weherufen Jesu gegen die Pharisäer tue ich mich wirklich schwer. Sie passen so gar nicht in das Bild, das ich sonst von Jesus habe. Allen geht er mit Geduld nach, selbst so einem Zöllner, wie dem Matthäus selbst, der einiges auf dem Kerbholz hatte. Ein Zöllner, der andere ausgenommen hat, war ja auch nicht barmherzig oder gerecht.
Und die Pharisäer standen Jesus in mancher Hinsicht in ihrer Auffassung von Frömmigkeit auch nahe. Sie wollten, dass der Glaube wirklich im Alltag verankert ist. Möglicherweise tue ich mich auch deshalb so schwer, weil es in mir durchaus auch Ecken gibt, die den Pharisäern ähnlich sind. Warum schimpft Jesus hier so? Eine Erklärung dafür, die ich mal gehört habe ist die, dass er die Pharisäer wachrütteln wollte eben gerade weil sie ihm wichtig waren.

Ist es nicht viel leichter, den Zehnten von ein paar Gewürzen abzugeben als Barmherzigkeit mit denen zu üben, die einem total gegen den Strich gehen? Oder ist es nicht leichter, Hygienevorschriften einzuhalten (wie aktuell!) als die ungerechten Strukturen zu entlarven, die uns reich und andere arm machen? Und dann auch was dagegen zu tun …
Und bei all dem hat Jesus auch immer noch einen gewissen Humor: Ihr siebt Mücken aus und verschluckt Kamele. Muss man bei der Vorstellung nicht mindestens schmunzeln?
Also die Kritikpunkte verstehe ich und trotzdem tue ich mich mit diesem „Wehe euch, ihr Heuchler“ immer noch schwer. Es lässt sich einfach nicht alles harmonisch auflösen im Evangelium.
 
Lass mich dich erkennen, wie du bist,
Jesus, du mein Meister,
auch da wo du mich wachrütteln willst.
Aber lass niemals zu, dass mir irgendjemand Angst macht vor dir!
 
 
Der nächste Eintrag kommt zum Freitag.      

Sr. Ursula Wahle OSB


21. August 2020, Mittwoch der 20. Woche im Jahreskreis, Gedenktag des hl. Papstes Pius X.

Das Gebot der Liebe
Tagesevangelium: Mt 22,34-40
Als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie am selben Ort zusammen. Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn versuchen und fragte ihn: Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste? Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.

Auf die Frage nach dem wichtigsten Gebot antwortet Jesus zunächst mit dem „Höre Israel“ (Dtn 6,4ff.), das fromme Juden jeden Tag rezitieren. Diese Worte sind die Nahrung jedes frommen Juden und Jesus gehörte dazu. In den Versen Dtn 6,6-9 wird genauer beschrieben, wie die Liebe zu Gott konkret wird: Die Worte Gottes sollen auf dem Herzen geschrieben sein, um das Handgelenk gebunden werden, auf die Stirn und an den Türpfosten. Das bedeutet doch, dass das Wort Gottes das ganze Leben prägen soll. In der benediktinischen Tradition haben wir das aufgegriffen mit der lectio divina und dem Stundengebet. Mehrere Stunden am Tag beten und lesen wir gemeinsam die Heilige Schrift, besonders die Psalmen. Und in der lectio divina lesen wir sie auch persönlich. So soll das Wort Gottes immer mehr unser Leben durchdringen.
 
Dem fügt Jesus dann aber noch ein zweites, ebenso wichtiges Gebot an: Die Liebe zum Nächsten. Die gibt es natürlich auch schon im Judentum, aber Jesus geht soweit sich selbst mit den Armen und Elenden zu identifizieren (Mt 25). Den offensichtlich Bedürftigen Liebe, Zuwendung zu schenken, fällt uns ja vielleicht sogar noch relativ leicht. Aber mein Nächster ist eben auch die Schwester, der Bruder direkt neben mir und da bleibt die Umsetzung Tag für Tag eine Herausforderung. Liebe meint hier nicht in erster Linie das Gefühl, sondern den Willen, dem Leben der anderen zu dienen.

Gib mir, Herr, heute die Kraft, dich zu suchen und zu lieben.
Gib mir die Kraft und die Herzensstärke, dich auch immer wieder im Antlitz meiner Schwester zu suchen und zu finden.

Der nächste Eintrag kommt zum Dienstag.       
Sr. Ursula Wahle OSB


18. August 2020, Dienstag der 20. Woche im Jahreskreis

Du bist nur ein Mensch und kein Gott
  

Heute möchte ich mal etwas zur Lesung aus dem Buch Ezechiel schreiben. Wir haben schon in der vergangenen Woche immer wieder aus diesem Prophetenbuch gelesen. Mir ist dabei aufgefallen, dass der Prophet von Gott immer als „Menschensohn“ angesprochen wird. Und mir kam die Frage, was Jesus wohl andeuten wollte, wenn er sich selbst als Menschensohn bezeichnet hat. Die Exegeten gehen heute davon aus, dass Jesus diesen Titel wohl wirklich für sich verwendet hat. Wollte Jesus damit zum Ausdruck bringen, dass er eine prophetische Sendung hatte? Die hatte er auf jeden Fall, auch wenn die für uns hinter seiner Sendung als Sohn Gottes und Erlöser zurücktritt.
Wenn wir uns den heutigen Abschnitt aus dem Propheten Ezechiel anschauen, hat er eine hohe Aktualität und könnte zugleich in weiten Teilen auch aus dem Munde Jesu kommen. Dem Fürsten von Tyrus (an der Mittelmeerküste gelegene Stadt) wird gesagt: Dein Herz war stolz, und du sagtest: Ich bin ein Gott […] Doch du bist nur ein Mensch und kein Gott, obwohl du im Herzen geglaubt hast, dass du wie Gott bist. […] Durch deine gewaltige Weisheit, durch deinen Handel hast du deinen Reichtum vermehrt. Doch dein Herz wurde stolz wegen all deines Reichtums. Und dann droht er ihm einen gewaltsamen Tod durch seine Feinde an und der Tod wird ihn lehren: Du bist nur ein Mensch und kein Gott.
 
Der Reichtum kann dem Menschen das Gefühl geben, alles zu können und von niemandem abhängig zu sein. Dabei ist Reichtum nicht nur materiell zu verstehen. Wir alle haben Anteil an Formen des Reichtums, deren wir uns oft gar nicht bewusst sind. Führen wir uns noch vor Augen, wie privilegiert wird sind, in diesem Land hier leben zu dürfen?
Dramatisch realistisch wird das Wort des Propheten natürlich, wenn wir auf die weltpolitische Bühne schauen … Dort ist es mit Händen zu greifen, was Ezechiel hier anklagt. Und gleichzeitig relativiert er den momentanen Reichtum, die momentane „Göttlichkeit“. Diese wird keinen Bestand haben. Ist das nicht irgendwie auch tröstlich? Fühlen wir uns nicht manchmal auch ausgeliefert an die „Scheingötter“ unserer Zeit? Sie werden keinen Bestand haben. Mir fällt ein anderes Wort Jesu ein, das er uns allen sagt: Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören und wo Diebe einbrechen und sie stehlen sondern sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Wurm sie zerstören und keine Diebe einbrechen und sie stehlen! (Mt 6,19f.)
  
Lass mich, Herr, heute so leben,
dass dieser Tag einen Ewigkeitswert enthält.
Lass mich heute so leben,
dass etwas bleibt für das Reich der Himmel!
 
Der nächste Eintrag kommt zum Freitag.
        
Sr. Ursula Wahle OSB


15. August 2020, Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel

Mariä Aufnahme in den Himmel
    
Dieser Festtag ist einer meiner Lieblingsfesttage. Wir feiern heute das, was wir alle einmal erhoffen dürfen. Maria wurde mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen, d.h. sie wurde als ganzer Mensch in den Himmel aufgenommen, mit all dem, was uns als Mensch ausmacht: Der Leib gibt uns die Möglichkeit, in Beziehung zu treten, er macht uns unverwechselbar, wir können uns durch unseren Leib ausdrücken. Im 15. Kapitel des 1. Korintherbriefs meditiert Paulus die Frage, wie denn wohl unser Auferstehungsleib aussehen würde. Diese Frage beschäftigte die Menschen damals und die kann auch uns beschäftigen. Natürlich geht es nicht darum, dass unser Leib aus dem realen Grab in den Himmel aufgenommen wird. Vielmehr ist uns ein ganz anderer Leib verheißen. Paulus spricht von Unverweslichkeit und Unsterblichkeit und von einem überirdischen Leib.
 
Aber auch über die Vorstellung, dass Maria in den Himmel aufgenommen wurde, möchte ich noch etwas sagen. Was ist denn der Himmel? Sicher kein „Ort“, auf den wir zeigen könnten. Bei der Rede vom Himmel geht es um ein Beziehungsgeschehen. Uns ist verheißen, dass wir Anteil am göttlichen Leben haben werden, wir sollen in die Gemeinschaft mit Gott aufgenommen werden. Himmel entsteht immer dann, wenn ein Mensch bei Gott ankommt. Dann ist wieder ein Stück Himmel verwirklicht. Der Himmel wächst gewissermaßen mit jedem Menschen, der bei Gott ankommt.

Vor einigen Jahren durfte ich diesen Festtag in der Abtei Niederaltaich mitfeiern. Dort feiert ein Teil der Gemeinschaft die Liturgie im byzantinischen Ritus. Das Fest heißt dann „Entschlafung Mariens“. Dazu gibt es eine traditionelle Ikone, auf der Maria auf dem Sterbebett liegt und Jesus ihre Seele in der Gestalt eines kleinen Kindes in den Arm nimmt. Jesus, der auch der Erlöser der Gottesmutter ist (denn schon im Hinblick auf seinen Erlösertod ist sie vorab von aller Sünde befreit worden) nimmt sie auf und somit ist sie gemeinsam mit ihm im Himmel.

Ich habe die wunderbare Liturgie, die in der Nacht gefeiert wurde, noch lebendig in Erinnerung. Es wurde mit allen Sinnen gefeiert: Es brannten viele Kerzen, und wir machten eine Kerzenprozession durch die Nacht, wurden alle mit Rosenwasser besprengt und schritten unter dem „Leichentuch“ der Gottesmutter wieder in die Kirche. Natürlich umhüllte uns der Duft von Weihrauch und die Mönche sangen die ganze Nacht mit ihren wohlklingenden Stimmen. Diese Feier sagte mit ihrer ganzen Atmosphäre und den vielen sinnlichen Eindrücken mehr als sich in nüchternen Worten sagen lässt.

Verschlungen ist der Tod vom Sieg.
Tod, wo ist dein Sieg?
Tod, wo ist dein Stachel?
1 Kor 15, 54f.
 
Der nächste Eintrag kommt zum Dienstag.
        
Sr. Ursula Wahle OSB


12. August 2020, Mittwoch der 19. Woche im Jahreskreis

Den Bruder, die Schwester zurechtweisen?

 
Im 18. Kapitel des Matthäusevangeliums finden sich verschiedene Aussagen zum Leben in einer Gemeinde, im Kreis derer, die zu Jesus Christus gehören. Da ging es um die Frage, wer der Größte ist (ein sehr aktuelles Thema!), wie man mit „Ärgernissen“ umgeht, wie mit einem „verlorenen Schaf“ und heute stellt sich die Frage nach der brüderlichen Zurechtweisung.

Wenn ich das richtig beobachte, dann gibt es in unseren Gemeinden eigentlich in dem Sinne gar keine Zurechtweisung mehr, oder? In freien evangelischen Gemeinden ist das meines Wissens anders. Da wird ein Gemeindemitglied, dass sich ganz offensichtlich schwerwiegend gegen die Weisungen des Evangeliums verfehlt, durchaus noch zur Rechenschaft gezogen.

Im Kloster ist das ein ganz heikles Thema. Da wir so eng zusammenleben und wir alle Menschen sind, bleibt es nicht aus, dass Fehlverhalten vorkommt und auch sichtbar wird. Benedikt hält sich in seiner Klosterregel an das, was hier im Evangelium steht und fügt dem noch mehr hinzu. So schreibt er, dass als stärkstes Mittel das Gebet für den Bruder – das gilt natürlich auch für die Schwester – eingesetzt werden soll. Wir können eigentlich so gut wie immer davon ausgehen, dass die Menschen aus Schwäche und nicht aus gezielter Böswilligkeit handeln (das gibt es natürlich auch, aber im Kloster doch eher selten). Benedikt sagt dem Abt, dass er die Leitung von Seelen übernommen hat, für die er Rechenschaft ablegen muss (RB 2,32). Und genau darum geht es auch bei der brüderlichen Zurechtweisung, von der das Evangelium spricht. Es geht um die Perspektive der Ewigkeit.

Wir erkennen manchmal erst sehr spät, wenn wir auf eine abschüssige Route gekommen sind. Und da kann es wirklich ein Liebesdienst sein, wenn mich ein anderer Mensch aufmerksam macht und mir liebevoll zeigt: Pass auf, wo Du hinläufst. Allerdings gibt es eine sehr wichtige Voraussetzung, die erfüllt sein muss, dass eine solche Botschaft ankommen kann: Die Beziehung zwischen diesen beiden Menschen muss sicher sein.
Vielleicht hilft an dieser Stelle ein anderes Wort aus dem Evangelium: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr! (Joh 8,11).

Der nächste Eintrag kommt zum Samstag.
        
Sr. Ursula Wahle OSB


9. August 2020, 19. Sonntag im Jahreskreis

Herr, rette mich!
 
 
Im Eintrag zum Fest der Verklärung des Herrn habe ich die Frage gestellt: Was ist nach meinem Erleben an Jesus göttlich? Genau diese Frage hat auch der Evangelist Matthäus gestellt und die Erzählung, die wir heute hören, ist eine Antwort darauf.
 
Jesus hat sich nach der Speisung der vielen Menschen am Abend allein auf einen Berg zurückgezogen, um zu beten. Hier wird betont, dass er allein ist. Berge galten in dieser Zeit als Orte, an denen der Mensch Gott besonders nah ist. Bei der Verklärung stieg Jesus mit seinen drei Jüngern auch auf einen Berg. Und Jesus betet lange. Erst in der vierten Nachtwache – die Nacht war im römischen Reich in vier „Wachen“ unterteilt – kommt er zu den Jüngern. Dieses lange nächtliche Beten ist ein Hinweis auf seine außergewöhnliche Nähe zu Gott.
 
Und aus dieser Gottesnähe heraus nähert er sich den Jüngern, die sich in einer beängstigend bedrohlichen Situation befinden. Dafür steht das aufgewühlte Wasser und der Sturm. Mächtige Wasser sind für den Menschen lebensbedrohlich und ein Bild für alles, was uns nach dem Leben trachtet. Wie real diese Bedrohung auch heute für unzählige Menschen ist, wissen wir von den Flüchtlingen, die über das Mittelmeer kommen. Und da steht: Jesus ging auf dem See – auf dem aufgewühlten, lebensbedrohlichen Wasser. Jesus weiß sich selbst in dieser Situation von Gott gehalten. Und er sagt zu den Jüngern: Habt Vertrauen! Ich bin. Da steht wörtlich nämlich nicht: Ich bin es, sondern ego eimi. Und das ist die griechische Wiedergabe des Gottesnamens JHWH. Jesus verweist also auf Gott, er weist über sich hinaus und gleichzeitig, ist Gott, zu dem er zuvor stundenlang gebetet hat, in seiner Person ganz präsent.
 
Und dann folgt noch die Szene, in der Petrus Jesus auf dem Wasser entgegengeht, weil er genau von dieser Präsenz Gottes in Jesus etwas wahrgenommen hat. Aber dann starrt er auf die Bedrohung und verliert die Gegenwart Gottes aus dem Blick. Wie gut kann ich das verstehen!!! So lange ich in Frieden, ohne außergewöhnliche Bedrohungen leben kann, fällt der Glaube an die Gegenwart Gottes leicht. Aber wenn der Boden schwankt und vielleicht sogar wegbricht, dann fällt es unendlich schwer, den Blick auf Gott nicht zu verlieren. Wenn Jesus dann nicht die Hand ausstreckt und mich ergreift, bin ich verloren. Gebe Gott, dass mir in dem Moment der Notruf Herr, rette mich über die Lippen kommt!
 
Die Erfahrung höchster Not, die zunächst erschreckende Annährung Jesu und dann die Erfahrung der rettenden Nähe führen die Jünger dazu, Jesus als den Sohn Gottes zu erkennen.
 
Herr Jesus, lass dein Angesicht über mir leuchten,
wenn ich in großer Not bin
und mein Blick sich in den bedrohlichen Wassern verliert.
Streck deine Hand aus und gib meinen Füßen wieder Halt!
 
Der nächste Eintrag kommt zum Mittwoch.       

Sr. Ursula Wahle OSB


6. August 2020, Verklärung des Herrn

Das innerste Wesen Jesu
  
Das Evangelium von der Verklärung des Herrn – im Lateinischen heißt es Transfiguratio, im Griechischen Metamorphosis – ist eines, das uns einerseits tief staunen lässt und andererseits auch viele Fragen aufwirft, die wir eigentlich nicht beantworten können. Jesus, die Lichtgestalt, strahlend schön. Und die Frage: Was hat das zu bedeuten? Ist es einfach eine schöne Fiktion?
  
Der Evangelientext ist vor allem ein hochtheologischer Text, besonders in der Fassung des Matthäus. Darauf möchte ich jetzt aber gar nicht eingehen. Gehen wir mal von den beiden Worten Transfiguratio und Metamorphosis aus. Transfiguratio lässt uns an die Veränderungen der äußeren Erscheinung denken. Da nimmt jemand ein anderes Aussehen an. Wir könnten daran denken, dass ein Mensch sich „verkleidet“, vielleicht sogar maskiert. Bei Metamorphosis fällt vielen von uns vielleicht noch der Biologieunterricht ein und die Stadien von Larve, Puppe und Schmetterling.
  
Die Evangelien erzählen uns von der Verklärung Jesu nicht, weil er sich vor den Augen der Jünger maskiert hätte, sondern deshalb, weil er sich enthüllt hat. Hinter der Gestalt des Jesus, der Mensch war mit allem was zum Menschsein dazu gehört. Und auf einmal enthüllt er sein innerstes Wesen und wird ganz licht. Um den Gedanken der Metamorphosis aufzugreifen: Jesus erscheint den Jüngern für einen kurzen Moment in seiner endgültigen Gestalt. Das sind natürlich alles nur Annäherungen, die ihre Grenzen haben.
  
Wenn Jesus mir sein innerstes Wesen zeigen würde, wenn ich ihn in der Gestalt sehen dürfte, wie ich ihn einmal in der Ewigkeit sehen werde – wie stelle ich mir ihn dann vor? Was ist für mich an Jesus so wesentlich, dass es alles andere überstrahlt? Was ist das an ihm, woran ich ihn unverwechselbar in der Ewigkeit wiedererkennen werde? Was ist nach meinem Erleben an ihm göttlich?
  
Während du betest, Herr,
strahlt dein Gewand wie von Sonne und Schnee.
Lass uns drei Hütten, Herr,
bauen am Rand unsrer Tage voll Weh.
 Wie schön bist du seliger Christus auf Tabor.
Wenn wir ermatten, Herr,
hol uns herein in den Schatten voll Licht.
Lass uns dich schauen, Herr,
Jesus, allein von Gesicht zu Gesicht.
Wie schön bist du seliger Christus auf Tabor.
So wirst du kommen, Herr,
schon bricht aus dir dein urewiger Glanz.
Kommst du am Ende, Herr,
glühen auch wir mit den Sonnen im Tanz.
Wie schön bist du seliger Christus auf Tabor.
 
Vigilhymnus auch dem Benediktinischen Antiphonale, Münsterschwarzach.
 
 
Der nächste Eintrag kommt zum Sonntag.        

Sr. Ursula Wahle OSB


4. August 2020, Hl. Pfarrer von Ars          

Beten ist menschlich IV
  
Machen wir uns nochmals bewusst: Am Anfang ist nicht das Gebet. Sondern das Leben. Und leben ist Sehnsucht nach der Quelle: Wir Menschen sind Dürstende. Nach Leben. Nach Liebe und Gemeinschaft.
Dieser Durst verbindet Gott und Mensch; es dürstet Gott nach unserem Durst.
Beten ist nicht schwer, es ist etwas ganz Natürliches, etwas Existenzielles. Beten heißt nicht: Gebete aufsagen. Vielmehr gilt es zu entdecken: Ich bin Gebet.
Im Beten können wir, die wir auf der Suche nach einer Quelle sind, selbst zu einer Quelle werden. Im Beten wächst Gemeinschaft, denn Beten lässt die Liebe kreisen im „Leib Christi“, lässt uns Wasser bringen in eine dürstende Welt. Dabei sind wir stets Empfangende und Gebende.
[…] Im Gebet hat alles, was atmet, Platz. Beten heißt darum immer auch: aufbrechen, nicht stehen bleiben bei sich, in der eigenen kleinen Welt; Beten weitet den Blick auf das Ganze. […] Solches Beten ist weit mehr als „Worte machen“. Es ist voller Leben, kreativ, es bringt ein Mehr an Menschlichkeit hervor. Wirkliches Beten lässt usn leben und aufleben, es lässt uns mehr Mensch sein.
 
Aus: Ermes Ronchi, Beten ist menschlich. Variationen über ein Grundbedürfnis, München 2019, S. 27f.

Der nächste Eintrag kommt zum Donnerstag.

Sr. Ursula Wahle OSB


2. August 2020, 18. Sonntag im Jahreskreis           

Jesus und Elischa
  
Was wird uns da eigentlich erzählt? Jesus hat auf wunderbare tausende von Menschen mit ein paar Broten satt gemacht? Ist das ein Wunder? Hat er die Naturgesetze außer Kraft gesetzt? Oder hat er die Gesetze des menschlichen Egoismus außer Kraft gesetzt, so dass plötzlich alle ihre Vorräte ausgepackt und miteinander geteilt haben? Das mag unserem Denken entsprechen. Entweder möchten wir einfach gerne ein Wunder sehen, das uns darin bestätigt, dass Jesus eben wahrer Gott und nicht nur wahrer Mensch ist. Braucht es dafür ein „Wunder“? Oder wir sind Optimisten im Hinblick auf die Möglichkeiten der Menschen, doch solidarisch zu sein und bereitwillig zu teilen.
Ich möchte Ihnen einen anderen Zugang anbieten. Haben Sie schon mal im zweiten Buch der Könige gelesen, in dem von den Zeichenhandlungen des Propheten Elischa erzählt wird? In 2 Kön 4,42-44 heißt es:
Einmal kam ein Mann von Baal-Schalischa und brachte dem Gottesmann Brot von Erstlingsfrüchten, zwanzig Gerstenbrote und frische Körner in einem Beutel. Elischa sagte: Gib es den Leuten zu essen! Doch sein Diener sagte: Wie soll ich das hundert Männern vorsetzen? Elischa aber sagte: Gib es den Leuten zu essen! Denn so spricht der HERR: Man wird essen und noch übrig lassen. Nun setzte er es ihnen vor; und sie aßen und ließen noch übrig, wie der HERR gesagt hatte.

In allen vier Evangelien wird von der sogenannten wunderbaren Brotvermehrung durch Jesus erzählt. Es ist damit sehr wahrscheinlich, dass es ein Ereignis gegeben hat, das an die von Elischa erzählte Vermehrung der Gerstenbrote erinnert hat – denn die jüdische Bevölkerung kannte diese Erzählung! Und die Elischastelle gibt uns auch den Schlüssel für das Verständnis der Brotvermehrung, von der wir heute hören: Es ist das Wirken des HERRN, das alle Menschen satt macht und noch übrig lässt. Bei Matthäus wird das dadurch zum Ausdruck gebracht, dass Jesus seine Augen zum Himmel erhebt und den Lobpreis spricht.
 
Wenn wir unsere Augen zu Gott erheben, wenn wir IHM danken und alles aus seiner Hand empfangen, dann können alle Menschen satt werden – auch heute und auf der ganzen Welt. Ist das eine Utopie, zu meinen, man könnte mit dem Evangelium Politik machen?
 
Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name,
dein Reich komme,
deine Wille geschehe
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib und heute,
und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
 
Der nächste Eintrag kommt zum Dienstag.

Sr. Ursula Wahle OSB


31. Juli 2020, Hl. Ignatius von Loyola              

Das Reich Gottes – vom Chaos zum Kosmos
  
Wir haben an den beiden vergangenen Sonntagen und auch an den Wochentagen immer wieder Evangelienabschnitte gehört, die vom Reich Gottes handelten. Ich möchte heute mit Ihnen eine Passage aus einem Buch von Ermes Ronchi über das Vater unser teilen, Gedanken, die ich so noch nie gehört habe, die mich aber sehr ansprechen und überzeugen:
Das Chaos-Motiv findet sich in den ersten Versen der Bibel wieder: Gott zieht aus dem Urchaos das Universum hervor (Gen 1,1ff.); seine Schöpfung ist der Sieg über das Chaos, das „Tohuwabohu“. […] „Reich Gottes“ ist auf diesem Hintergrund die Schöpfung, die neu zu ihrer ursprünglichen Dynamik und Schönheit findet. Das Gottes kommt, wenn ich mich wieder mit den Wurzeln verbinde und an jener Bewegung teilhabe, die aller Schöpfung zugrunde liegt. Jeder Mensch ist ja ein kleiner Kosmos, gewoben aus Chaos und Schönheit, und Leben heißt: sich einüben, die „inneren Ozeane“ zu beherrschen, die bedrohlich und furchtbar zugleich sind.

Das Gottesreich kommt in mir zum Zuge, wenn ich herauskomme aus innerem Chaos und Dunkel, aus meinen inneren Höllen, aus den Regionen in meinem Inneren, die noch nicht von der Frohen Botschaft durchdrungen sind.
Es kommt da zum Zuge, wo Ängste und wirre Leidenschaften neuer Orientierung weichen, wo Richtung, Sinn und Harmonie ins Leben kommen …
Es kommt zum Zuge, wenn Härte und Gleichgültigkeit in mir aufgebrochen werden und ich beginne, dem leisen Ruf nach Weite und Großherzigkeit zu folgen.
Es kommt zum Zuge, wenn wir der zerstörerischen Logik von Gewalt die Utopie der Barmherzigkeit entgegensetzen, wenn wir hinabsteigen in die „Höllen“ dieser Welt und den Ausgegrenzten und Armen, denen, die nicht ein noch aus wissen und irgendwo gestrandet sind, unsere Solidarität bezeugen und neue Wege bahnen; wenn unsere von Unrecht und Gewalt gezeichnete Geschichte eine neue Richtung nimmt.
Das Reich Gottes ist der beständige Übergang vom Chaos zum Kosmos, von der Konfusion zur Kreation, aus wirrer Fragmentierung zu wunderbarer Schönheit. Im Bund mit Gott und in der Verbundenheit mit allen Menschen können wir daran mitwirken, dass unsere Geschichte eine „königliche“ Geschichte wird, die von Gott uns seiner Liebe regiert wird, in der Freiheit und Freundschaft alle Beziehungen prägen.
Aus: Ermes Ronchi, Vater uns im Himmel. Neue Zugänge, München 2020, S. 50-52.
 
 Komm, Heiliger Geist,
und bringe Licht, in meine Finsternis,
Ordnung in mein Durcheinander,
Schönheit in meine Unansehnlichkeiten!
Komm, Heiliger Geist,
der du mit Geduld und Sanftmut alles vermagst!

Sr. Ursula Wahle OSB


28. Juli 2020, Gedenktag der hl. Martha, Maria und Larzarus - Freunde Jesu                

Freunde Jesu

Heute feiern wir in den benediktinischen Klöstern den Gedenktag der Freunde Jesu, Martha, Maria und Lazarus aus Betanien. Ja, Jesus hatte Freunde, und bei denen konnte er jederzeit anklopfen und einfach vorbeikommen. Im Lukasevangelium wird uns von der fleißigen Martha berichtet, die sich um die orientalische Gastfreundschaft müht und sich über ihre Schwester Maria beklagt, die einfach zu Füßen Jesu sitzt und seinen Reden lauscht (Lk 10,38-42). Und Johannes erzählt uns die Auferweckung des Lazarus und dabei auch viel von dessen beiden Schwestern Maria und Martha (Joh 11).

Warum feiern wir als BenediktinerInnen den Tag der Freunde Jesu? Ich denke, es hat damit zu tun, dass Benedikt in seiner Regel davon spricht, dass ein Kloster eine „Schule für den Dienst des Herrn“ sein soll (Prol 45). Bei dieser Schule handelt es sich nicht um eine Universität, in der wir uns Vorlesungen anhören oder viele Bücher studieren müssten, um zu lernen, was zu lernen ist. Hier geht es darum, bei Jesus selbst in die Lehre zu gehen. Wir lernen durch die Freundschaft mit Jesus, wie wir seinen Dienst an Gott und den Menschen übernehmen können. Jesus will ja nicht, dass wir ihm dienen, denn er sagt: „Ich bin nicht gekommen, um mir dienen zu lassen, sondern um zu dienen“ (vgl. Mk 10,45). Vielmehr sagt er seinen Jüngern bei der Fußwaschung (Joh 13), dass sie sich gegenseitig dienen sollen. Und so ist es auch in unseren Gemeinschaften. Da ist es oft „angesagt“ sich gegenseitig zu dienen, auf die verschiedensten Weisen.

Mir selbst ist diese Vorstellung, zum Freundeskreis Jesu gehören zu können, sehr lieb und ich kann auch sagen, dass ich unbedingt dazugehören will – nicht nur in diesem Leben, sondern ganz bestimmt im kommenden! Ich kenne ein Gedicht, dass meinen Freund Jesus sehr gut beschreibt – ja, so ist er!

In deinen Blicken
der Mensch
In deinen Worten
Sinn
In deinen Händen
Leben
In deinem Sterben
Zukunft
In deinen Spuren
Gott
Stefan Schlager
 
Der nächste Eintrag kommt zum Freitag.
Sr. Ursula Wahle OSB


26. Juli 2020, 17. Sonntag im Jahreskreis                

Mein Schatz
 
Matthäus ist der Evangelist der Reden Jesu. Er hat uns nicht nur die Bergpredigt zusammengestellt, sondern auch eine Rede vom Himmelreich. An den letzten beiden Sonntagen haben wir auch schon Abschnitte aus dieser Rede gehört. Die Mitte der Verkündigung Jesu war das Kommen des Himmelreiches oder des Reiches Gottes. Und Jesus hat in Bildern und Gleichnissen gesprochen. Von denen, die wir heute hören, ist mir das vom Schatz im Acker besonders lieb. Wie findet man einen Schatz im Acker? Vermutlich, wenn man auf dem Acker arbeitet und sich müht. Und das ist ja das, was wohl alle Menschen kennen: Leben bedeutet, sich abmühen, Leben ist mit Anstrengung verbunden. Aber in dieser Anstrengung und Mühe verheißt uns Jesus einen Schatz. Und der bereitet eine solche Freude, dass der Mann im Gleichnis dafür seinen ganzen Besitz verkauft. Die Punkte, auf die es hier im Gleichnis ankommt, sind der Schatz und die Freude.

Matthäus fügt dem Gleichnis vom Fischfang, das wir heute auch hören, wieder eine Deutung an, die uns vielleicht eher erschrecken könnte, weil es dabei um die scheinbare Androhung einer Strafe geht, die mit Heulen und Zähneknirschen zu tun hat. Das ist dann vielleicht die Pädagogik des Matthäus. Aber er lenkt unseren Blick damit auf etwas sehr Entscheidendes: Der Schatz und die unbändige Freude kommen erst zum Vorschein, wenn wir die sogenannte „eschatologische Perspektive“ mit in den Blick nehmen. Erst wenn wir über das Hier und Jetzt hinausblicken, wird die volle Bedeutung unserer augenblicklichen Mühe sichtbar. Wir neigen sehr dazu, im Hier und Heute stecken zu bleiben und möchten am liebsten schon jetzt ganz auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Die Freude mitten in der Mühe des Alltags kommt aber erst zum Vorschein und wird auch spürbar, wenn wir den Ewigkeitswert dessen, was wir heute tun, mit in den Blick nehmen. An anderer Stelle sagt Jesus: Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, sondern sammelt euch Schätze im Himmel (vgl. Mt 6,19f.).

Übrigens ist das Wort „Schatz“ vermutlich auch der Grund, warum Matthäus, den letzten Satz des heutigen Evangeliums an diese Stelle gesetzt hat. Spielen wir doch heute mal mit dem Wort „Schatz“. Mir fällt da sofort der Satz ein: Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz (Mt 6,21). Was fällt Ihnen noch alles ein?
Sr. Ursula Wahle OSB


24. Juli 2020, Freitag der 16. Woche im Jahreskreis                
   
Die Saat des Wortes
  
Die Deutung des Gleichnisses vom Sämann, die wir heute im Evangelium hören, spricht davon, dass der Same, den Gott sät, das Wort ist, das einem Menschen ins Herz fällt. Und dann werden uns Interpretationen angeboten, die die meisten von uns gut kennen und die wir auch irgendwie nachvollziehen können.
  
In mir sträubt sich immer etwas gegen moralische Deutungen, so als wenn es bei der reichen Frucht um „gute Taten“ ginge. Natürlich geht es auch darum, dass sich unser Leben durch das Hören des Wortes verändert. Die Frage ist nur wie. Mir kommt da eine Verbindung zu unserer lectio divina. Das ist die im Mönchtum entstandene und verbreitete Art der Bibellesung. Wenn ich selbst einen Bibeltext lese, dann schaue ich erst sehr genau hin, was da Wort für Wort steht. Ab und an schaue ich auch nach, was im griechischen Text oder in anderssprachigen Übersetzungen steht. Hebräisch kann ich leider nicht, aber es ergibt oft schon viel, verschiedene deutsche Übersetzungen zu lesen. Durch diese Art der Beschäftigung mit den Worten der Schrift, mache ich mich mit ihnen vertraut. Und dann schaue ich auch, in welchem Zusammenhang sie stehen. Und bei all dem geht es mir persönlich immer in erster Linie um die Frage: Was sagen mir diese Worte über Gott? Auf ihn möchte ich schauen. Und dabei bleibe ich dann auch.
 
Wenn ich darüber staunen kann, wie Gott ist und wie er zu uns Menschen ist, dann verändert das auch mich. Und ehrlich: Ich kann mich begeistern, wenn ich plötzlich Zusammenhänge verstehe und vor allem, wenn ich Anklänge entdecke an andere Stellen aus der Heiligen Schrift. Die Kirchenväter haben immer betont, dass die Heilige Schrift sich selbst auslegt, indem verschiedene Stellen miteinander in den Dialog treten. Bei unserer Stelle heute ist das z.B. bei dem Wort „Herz“ möglich. Da fällt mir das Wort vom Herz aus Stein und aus Fleisch ein (Ez 36,26) oder das Gebot, Gott mit ganzem Herzen zu lieben, oder eine Stelle bei Jesaja (Jes 29,13): Weil dieses Volk sich mir mit seinem Mund näherte und mich mit seinen Lippen ehrte, sein Herz aber fernhielt von mir und weil ihre Furcht vor mir zu einem angelernten menschlichen Gebot wurde. Gerade diese letzte Stelle wird für mich zu einem Schlüssel für die Auslegung des Sämanngleichnisses: Es geht um die Beziehung zu Gott, hier als „Gottesfurcht“ bezeichnet. Es geht darum, dass ich durch das Hören des Wortes in eine Beziehung mit Gott eintrete. Und aus dieser Beziehung heraus werde ich dann auch fähig, meine anderen Beziehungen, die zu meinen Mitmenschen, zur ganzen Menschheitsfamilie und zu unserer Erde, neu zu gestalten.
 
 Lass mich, Herr, in deinem Wort dein Herz erkennen
und lass dann mein Herz mehr und mehr in deinen Schlagrhythmus einschwingen.
  
Sr. Ursula Wahle OSB


22. Juli 2020, Hl. Maria Magdalena                   
   
Jeremia 1,1.4-10
                                     
„Wohin ich dich auch sende, dahin sollst du gehen, und was ich dir auftrage, das sollst du verkünden. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin mit dir, um dich zu retten – Spruch des Herrn.“ (Jeremia 1,7+8)
  
Diese Worte vernahm ich in meinem Herzen, vertraue darauf und mit ihnen als einziger Ausrüstung mache ich mich auf den Weg, um dorthin zu gehen und dort zu arbeiten, wohin mich der Herr gesandt hat. Flexibilität ist gefragt, überall in Deutschland und sogar im Kloster! Bei mir ist es eine neue Aufgabe, die ich erhielt, und zwar eine, die ich nie wollte, weil ich mich dafür, wie Jeremia, für ungeeignet halte. Und nun ist es doch so gekommen. Der Mensch denkt und Gott lenkt.
Es traf mich wirklich als ein Anruf Gottes, deshalb nehme ich die Herausforderung an und mache mich trotz meiner Schwäche und Armut auf den Weg, ungesichert, ohne Netz, allein im VERTRAUEN auf Gott meinen Retter und Beschützer. Auf diese Weise habe ich mich schon öfter gewagt und eingesetzt, und mein Gottvertrauen wurde nicht enttäuscht, selbst dann nicht, wenn alles ganz anders kam, als ich es mir vorgestellt hatte. Gewiss, es ist 100 % Risiko, aber ich weiß, wem ich glaube! In den Augen dieser Welt ist es Unvernunft, so blind zu vertrauen. Das weiß ich wohl. Meine bisherigen Lebenserfahrungen sprechen jedoch für sich, deshalb lasse ich mich nicht davon abbringen.
Meine Empfehlung ist: Haben auch Sie Mut zum Risiko und vertrauen Sie sich ganz Gott an, in einer entsprechenden Situation. Sie werden staunen, was sich alles positiv ineinanderfügt. Das ist kein Trick. Es geht nur, indem ich mich bedingungslos Gott ungesichert, aber engagiert zur Verfügung stelle. Sagen Sie „Ja!“ und geben Sie alles, was Sie können, tun Sie was in Ihren Möglichkeiten steht, und erleben Sie, wie Gott alles das tut, was Sie nicht tun können und wie ER Ihnen den Weg bereitet!
 
Herr, auf Dich vertraue ich!
In Deine Hände lege ich mein Leben.
Ich weiß, dass Du mir beistehst,
aber beweglich muss ich bleiben,
um mich auf Deine Überraschungen einlassen zu können.
Du zeigst mir den Weg zum Leben.
Gott, Du mein Schöpfer,
ich DANKE Dir für Deine grenzenlose Liebe zu mir.
  
Der nächste Tagebuch-Eintrag folgt am Freitag.

Sr. Bernadette Tonne OSB


19. Juli 2020, 16. Sonntag im Jahreskreis
                       
Beten ist menschlich III

 
Die Gestalt der Rebekka (Gen 24,11,-21) und ihr Verhalten sagt uns Wichtiges über der Das Beten: Zum Beten gehört das Eintreten für andere, das Weiterreichen des „Wassers“, das Kreisen-Lassen der Liebe. . Im Kreislauf von Empfangen und Geben vollendet sich das Gebet. Der Beter lässt dem HERR seinen Lobpreis zukommen: „Preise den HERRN meine Seele“ (Psalm 103,1.22), und der HERR schenkt dem Beter seinen Segen: „Du, HERR, segnest den Gerechten“ (Psalm 5,13; im Lateinischen ist es dasselbe Verb: benedicere = preisen, segnen!) Der Beter wendet sich sodann den anderen Kreaturen zu, und diese stimmen ihrerseits ein in den großen Lobgesang der Schöpfung.
Alles ist verbunden im Gebet: Raum und Zeit, alle Geschöpfe, Heilige und Sünder, Lebende und Tote; nichts bleibt außen vor, auch nicht die anderen Kreaturen: Die zehn Kamele, die Durst haben und niederknien, um zu trinken, sind ein Zeichen für den Bund, den Gott mit allem, was lebt, geschlossen hat: Verweis auf seinen Bund mit Noach und allen Lebewesen (Gen 9,9ff). Die Kamele stehen für alle Tiere, die in Psalm 148 aufgerufen werden: „Lobet den HERR von der Erde her: ihr Ungeheuer des Meeres und alle Tiefen …, ihr Tiere alle, wilde und zahme, ihr Kriechtiere und ihr gefiederten Vögel“ (Psalm 148,7.10).
 
Beten hat somit eine universelle Dimension: Die Dimension der Geschwisterlichkeit alles Geschaffenen, wie Franz von Assisi es in seinem Sonnengesang zum Ausdruck bringt. „Laudao sii …“ – Sei gepriesen, Herr, durch Schwester Sonne und Mutter Erde, durch alle Geschöpfe! Beten hat darum auch eine ökologische Dimension: Es beinhaltet die Bewahrung der Schöpfung, damit „alles, was atmet“, den HERRN loben kann (Psalm 150,6). Beten hat eine kosmische Dimension: Das Universum ist „der erste Tempel Gottes“ (Origenes).
 
Aus: Ermes Ronchi, Beten ist menschlich. Variationen über ein Grundbedürfnis, München 2019, S. 24f.

 
Der nächste Tagebucheintrag erscheint am Mittwoch.

Sr. Ursula Wahle OSB


17. Juli 2020, Freitag der 15. Woche im Jahreskreis
                       
Hingabe und Gebet = Quelle tiefer Freude

Neulich war es wieder einmal so ein Tag, an dem mein Herz in besonderer Intensität jubelte im Herrn. Dabei hatte ich gar nichts Besonderes getan: Ich hatte nur meine Pflichten erfüllt, allerdings voller innerer Zustimmung zu dem, was der Augenblick mir abverlangte und mit Hingabe und Leidenschaft für die Menschen und für Gott mit einem frohen, dankbaren Herzen: Refektorium (Speisesaal) aufräumen und vorbereiten für die nächste Mahlzeit, einer greisen, demenzkranken Mitschwester das Frühstück reichen, dabei mit ihr scherzend, Mitschwestern Auskunft geben, ein Telefonat führen. Ein ganz normaler Tag. Und doch glänzte er und alles im Licht der Gegenwart Gottes, die mir so spürbar war. Alles empfand ich als großes Geschenk von Gott, mein Sein, mein Arbeiten können und dürfen, die freundliche Begegnung mit Mitmenschen. Stets war ich ganz im Moment anwesend mit meinem ganzen Dasein so, wie ich an dem Tag war. Danach war Zeit für Gebet in der Kapelle. Voller Offenheit dafür, was der nächste Augenblick bringen würde, begann ich die Stunde. Da zeigte sich, dass es die Fortsetzung dessen war, was ich zuvor gerade gelebt hatte: Leidenschaft, Dankbarkeit, Präsenz im Licht der Gegenwart Gottes. Es erfüllte mich die Freude, die aus der Hingabe wächst. Frei fühlte ich mich in meiner Entschiedenheit, die Dinge so zu nehmen, wie sie sich zeigten und kommen würden. Außerdem befand ich mich in Einklang und Harmonie. Natürlich sind das alles subjektive Empfindungen. Ich kann nur versuchen, wiederzugeben, wie es mir erging. Offenbar hatte ich mich, in dem ich die mir vorgegebenen Pflichten erfüllt hatte, wie man so sagt „selbst verwirklicht“ und zum Blühen gebracht. So fühlte es sich jedenfalls für mich an. Mir wurde bewusst, dass ich innerlich etwas gewachsen war durch diese Entscheidung zur Hingabe ohne Bedingungen. Mir wurde außerdem klar, dass ich mich frisch und erholt fühlte, obwohl ich die meiste Zeit des Vormittags ununterbrochen gearbeitet hatte. Denn alles war mich zugefallen, es ging so leicht, wie von selbst. Meiner Meinung nach lag das an dem Tun in der Gegenwart Gottes, dass ich an diesem Tag auf diese Weise beglückend erfahren durfte.
  
Gott, Du mein Helfer,
bitte, stärke meinen Mut zur bedingungslosen Hingabe
 auch dann, wenn mir Schwieriges abverlangt wird.
Lass mich dann im nackten Vertrauen auf Dich,
alles annehmen, was mir begegnet und aktiv zustimmen
zur Situation, so wie sie gerade ist.
 Denn immer, wenn mir das gelingt,
darf ich die Freude spüren, die daraus entspringt.

Der nächste Tagebucheintrag folgt am Sonntag.

Sr. Bernadette Tonnne OSB


15. Juli 2020, Mittwoch der 15. Woche im Jahreskreis

Beten ist menschlich II
 
Gib mir doch zu trinken; ich habe Durst! Das ist die Essenz des Gebets, der Kern aller an den Himmel oder an die Erde gerichteten Bitten.
Gib mir doch zu trinken; ich habe Durst! Das ist nicht auf schwierige Zeiten oder unglückliche Umstände beschränkt, es ist nicht Ausdruck einer momentanen Unpässlichkeit, sondern unsere grundlegende Befindlichkeit, die ewige conditio humana: Durst haben ist menschlich. Adam hat Durst: Alle Tiere im Garten Eden genügen ihm nicht, der gesamte „irdische Garten“ ist ihm immer noch zu wenig.
Durst ist aber auch Gottes Befindlichkeit: Die Unendlichkeit des Himmels genügt ihm nicht, er erschafft die Welt, er sehnt sich nach uns Menschen.
Der Durst den Menschen kommt wie gesagt nicht irgendwann auf, sondern ist von Anfang an da; er ist kein gelegentliches Phänomen, sondern gehört als existenzielles Bedürfnis nach Leben zu unserer menschlichen Struktur.
Und daraus erwächst das Gebet: Beten ist der mehr oder weniger „ausdrückliche“ Wunsch, jemand möge das Verlangen, das dem Leben innewohnt, stillen: ein Mensch, ein Mann oder eine Frau, ein Gott. Beten ist Sehnsucht nach einer Quelle, an der wir unseren Durst stille können, nach einem Brunnen, nach einem vollen Gefäß.
Die Urform des Betens ist das Verlangen nach Gemeinschaft – noch vor der Unterscheidung zwischen einer Bitte an einen Menschen und jener an Gott. Gebet ist ursprünglich Frucht jenes Durstes, der im Buch Genesis in die Worte gekleidet ist: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist“ (2,18).Es ist der Durst nach Liebe, nach Begegnung, nach Blicken, die sich begegnen.

Lass mich ein wenig Wasser aus deinem Krug trinken! (Gen 24,17)
 
Gib mir zu trinken! (Joh 4,7)
 
Mich dürstet. (Joh 19.28)
 
Aus: Ermes Ronchi, Beten ist menschlich. Variationen über ein Grundbedürfnis, München 2019, S. 15f.
Der nächste Eintrag folgt am Freitag..

Sr. Ursula Wahle OSB


13. Juli 2020, Montag der 15. Woche im Jahreskreis

Beten ist menschlich I
 
Während meiner Ferienzeit, möchte ich einige Passagen aus einem Buch mit Ihnen teilen, das mich seit einigen Monaten begleitet. Vielleicht spricht es Sie so an wie mich.
 
Die Geschichte des Menschen mit dem Geheimnis Gottes ist nichts anderes als ein Wechselspiel von Nähe und Ferne, von Umarmung und Abwesenheit, von Spüren und Suchen. Es ist ein Prozess, in den wir ganz miteinbezogen sind: Beten ist ein Abenteuer, bei dem es um alles geht, um uns und unser Leben. Ob eine Gotteserfahrung echt ist, zeigt sich daran, inwiefern sie und leben lässt, inwiefern sie uns mehr Mensch sein lässt. Beten, der Kontakt mit Gott, soll uns verwandeln, uns als Menschen wachsen und reifen lassen.
 
Im Beten verbinden sich Erde und Himmel,
der alltägliche Lärm und das Schweigen der Gestirne.
Im Beten lösen wir uns von den klirrenden Ketten
und entdecken die Melodien auf dem Grund der Seele.
Im Beten tut sich ein Fenster auf:
Wir erhaschen einen Blick auf Gott,
unser Leben verliert an Härte
und wird durchlässig für das Göttliche,
es kommt zum Austausch
zwischen dem Unseren und dem Seinen.
Beten heißt, eine Ahnung bekommen
von der Präsenz des ewig Abwesenden,
darüber staunen können,
sie tief in sich einlassen:
Die Präsenz atmen.
 
Aus: Ermes Ronchi, Beten ist menschlich. Variationen über ein Grundbedürfnis, München 2019, S. 10f.
 
Der nächste Tagebucheintrag folgt am Mittwoch.

Sr. Ursula Wahle OSB


11. Juli 2020, Hl. Benedikt von Nursia

Benedikt - Patron Europas

Heute feiern wir das Hochfest des heiligen Benedikt als Patron von Europa. Könnte es ein aktuelleres Patrozinium geben? Aber was macht den Ordensvater Benedikt (ca 480 – 547) zum Patron Europas? Er selbst hat in einer Zeit gelebt, in der das, was wir heute Europa nennen, in Bewegung war. Das weströmische Reich war quasi untergegangen, die Westgoten, die Wandalen und die Langobarden eroberten die Lande und drangen auch nach Italien vor. Das Kloster, das Benedikt auf dem Monte Cassino errichtet hatte, wurde nach seinem Tod im Jahr 577 von den Langobarden zerstört. Damit war sein Lebenswerk scheinbar vernichtet - gäbe es da nicht die Klosterregel, die nach ihm benannt ist, die Regula Benedicti. http://www.stift-stlambrecht.at/data/documents/5/de/Benediktsregel_deutsch.pdf.

Die Regel Benedikts gehört zur spätantiken Weisheitsliteratur, denn sie will ein Leitfaden dafür sein, wie Menschen in Gemeinschaft vor dem Angesicht Gottes in Gerechtigkeit leben können. Gerechtigkeit meint ein Leben nach der Ordnung, die Gott in unsere Welt gelegt hat, die seinem Frieden entspricht. In der karolingischen Zeit wurde diese Regel für alle Klöster verbindlich und prägte dadurch das, was wir heute Europa nennen, über Jahrhunderte. Denn die Klöster waren die kulturellen Zentren der damaligen Welt. Das Abendland war in diesen Jahrhunderten durch und durch christlich.

Heute gibt es auf der ganzen Welt Klöster, die nach der Regel Benedikts leben, auch wenn sie längst nicht mehr die kulturellen Zentren sind. Aber noch immer geht von den Klöstern für viele Menschen eine prägende Wirkung aus. Das betrifft Schulen, Gästehäuser und die ständig wachsende Zahl der Oblaten und Oblatinnen, Frauen und Männer, die in ihrem familiären und beruflichen Umfeld ihre geistliche Heimat in den Klöstern und Orientierung in der Regel Benedikts finden. Auch zu unserer Gemeinschaft gehören Oblatinnen und Oblaten.
 
Die politische, gesellschaftliche und kirchliche Situation in Europa verlangt mit großer Dringlichkeit nach Orientierung. Wie können wir in Gerechtigkeit und Frieden leben? Wie können wir die Schöpfung als Lebensraum für künftige Generationen bewahren? Ich möchte drei Stichworte aus der Regel Benedikts (RB 72) nennen, die uns eine Orientierung geben können:

Achtung haben voreinander auch, vor denen, die anders denken und anders leben
Nicht den eigenen Vorteil suchen, sondern mehr noch den des anderen
Sich als Geschwister verstehen und füreinander Sorge tragen
 
Der nächste Impuls erscheint am Montag.

Sr. Ursula Wahle OSB


8. Juli 2020, Mittwoch der 14. Woche im Jahreskreis
 
Leben ist Bewegung

„Ihr (aber) habt Frevel eingepflügt; darum habt ihr Verbrechen geerntet und die Frucht der Lüge gegessen. Du hast auf deine Wege vertraut und auf die Menge deiner Krieger; darum erhebt sich Kriegslärm gegen dein Volk und alle deine Festungen werden zerstört.“ (Hosea 10,13-14a)
„Sät für Euch in Gerechtigkeit (= Barmherzigkeit), erntet in Liebe! Nehmt Neuland unter den Pflug! Es ist Zeit, den Herrn zu suchen; dann wird er kommen und Gerechtigkeit (= Barmherzigkeit) auf euch regnen lassen.“ (Hosea 10,12)
In unserem geistlichen Tagebuch versuche ich, Interessierten Einblick in meine persönliche Gebets- und Gedankenwelt zu geben. Heute sammelte ich zunächst ein paar Worte, die mir im Zusammenhang mit den obigen Schriftworten einfielen: Routine, Alltagstrott, Kurzsichtigkeit, Weitsicht, Perspektiv-wechsel, loslassen, suchen, Versuch, Veränderung, Hoffnung, Schauen, Vertrauen, Hören, Lauschen, Finden, Warten, Aufmerken, Wachen, Umkehr, Zuwendung, Intuition.
Immer wieder bemühe ich mich darum, mich daran zu erinnern, wie wichtig Bereitschaft zur Veränderung für mich ist, weil ich sonst in Gefahr bin, in Routine zu erstarren. Die heutigen Schriftworte beleuchten gut, was damit gemeint ist: Bewusster Perspektivwechsel, meinen Blick immer wieder neu auf Gott ausrichten, weg vom Alltagstrott, auf IHN schauen, IHM zuhören, Seiner leisen Stimme lauschen! Denn wenn ich auf mich und meine eigene Kraft und kleine Welt schaue, verliere ich zu leicht das Wesentliche aus dem Blick, und gerate in Enge, gar in Ängste und vielleicht in einer Sackgasse.
Von Gott her ist mir jederzeit die Möglichkeit geschenkt, Neuland unter den Pflug zu nehmen. Dazu muss ich den Kopf heben, den Blick nach Vorne richten.
Die Corona-Krise hat vieles verändert und fordert uns zum UMDENKEN heraus und dazu, Fantasie zu entfalten, neue Möglichkeiten für uns zu entdecken. Das ist nicht leicht, hält aber in BEWEGUNG. Veränderung ist nicht zu haben ohne, dass ich mich selbst bewege und neue Perspektiven nutze. Veränderung hält lebendig! Gott scheint sie besonders zu lieben, sonst hätte er uns sicher anders erschaffen.
Das Geheimnis der Eucharistie weist mich hin auf Veränderung und Neuwerdung in der heiligen Wandlung!
 
Leben ist Bewegung, Veränderung.
Gott, ich DANKE Dir für das Geheimnis der heiligen Eucharistie,
das mich in der Wandlung stets neu daran erinnert.
Es geht immer weiter!
Deine Fantasie erschöpft sich nie.
Hauptsache ich schaue auf Dich, dann finde ich meinen Weg
und neue Lebensmöglichkeiten.
 
 Der nächste Tagebucheintrag folgt am Samstag.

Sr. Bernadette Tonne OSB

 
5. Juli 2020, 14. Sonntag im Jahreskreis

Vom Streitwagen absteigen
    
 
Im heutigen Abschnitt aus dem Evangelium hat Matthäus verschiedene Worte Jesu zusammengestellt, die Jesus ursprünglich sicher nicht so hintereinander gesagt hat. Es sind drei „Worte“ und jedes dieser Worte ist rätselhaft und nicht leicht zu verstehen. Vor meinem Eintritt hatte ich mal die Gelegenheit, mit einer alten Schwester ein persönliches Gespräch zu führen. Dabei erzählte sie mir, dass sie schon soundso viele (es waren viele Tage!) das Wort vom sanften Joch und der leichten Last meditiere und einfach nicht dahinterkäme, wie Jesus das gemeint habe. Sie empfand ihr Joch zu der Zeit offensichtlich nicht als leicht.

Alle drei Worte lassen sich nicht leichthin und oberflächlich verstehen. Sie sind so etwas wie ein Koan, ein der Vernunft nicht zugängliches Wort. Die erste Lesung gibt uns eine Fährte dafür, wie wir das Wort vom gütigen und demütigen Herrn, von dem wir lernen sollen, verstehen können. Bei Sacharja heißt es: Siehe, dein König kommt zu dir. Gerecht ist er und Rettung wurde ihm zuteil, demütig ist er und reitet auf einem Esel, ja auf einem Esel, auf dem Jungen einer Eselin. Und dann: Ausmerzen werde ich die Streitwagen aus Efraim und die Rosse aus Jerusalem, ausgemerzt wird der Kriegsbogen. Streitwagen, Rosse und Kriegsbogen waren damals Zeichen einer militärischen Übermacht, der man mit dem Jungen einer Eselin ganz sicher nicht begegnen konnte. Diese Stelle aus Sacharja  wird auch beim Einzug Jesu nach Jerusalem in Erinnerung gerufen.
 
 
Ist das nicht immer wieder unsere Wirklichkeit? Auf der weltpolitischen Bühne stehen sich bis an die Zähne bewaffnete Mächte gegenüber und an so vielen Orten der Erde, werden die Unbewaffneten einfach niedergewalzt. Aber auch in unserem ganz persönlichen Leben gibt es solche Erfahrungen. Vielleicht sind wir selbst sogar manchmal bis an die Zähne bewaffnet mit Gedanken, Worten und Taten. Wie schwer kann es sein, sich von Jesus entwaffnen zu lassen, sich der eigenen Ohnmacht zu stellen und auf den Esel zu steigen – oder selbst zum bereitwilligen Lastesel zu werden?

Es gibt eine wunderbare Ikone von Christus, dem barmherzigen Samariter, die Br. Ansgar Stukenborg OSB gemalt hat. Es ist das Bild, das ich mir zu meiner Silberprofess ausgesucht habe. Ich möchte nur auf eines aufmerksam machen: Im Laufe unseres Lebens können wir uns in allen Figuren wiederfinden: Im Verwundeten, der am Boden liegt, in Christus, der die Wunden verbindet, im Herbergsvater, der mitleidig die Hand an die Wange hält und eben auch in dem Esel, der den Verwundeten trägt. Ich möchte Ihnen diese Ikone einfach mit in den Tag geben und Sie einladen, von dieser Ikone zu lernen, was Jesus meinen könnte mit den Worten: Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir!

Der nächste Eintrag kommt zum Dienstag oder Mittwoch.


Sr. Ursula Wahle OSB

 
3. Juli 2020, Fest des hl. Thomas

Berührt von Jesu Blick
  
Heute feiern wir das Fest des Apostels Thomas, des „ungläubigen“ Thomas. Thomas ist ein Skeptiker. Er glaubt nicht alles, was man ihm sagt und er glaubt die Dinge nicht ungesehen. Das ist mir erst mal sehr sympathisch. Ich habe auch eher einen kritischen Blick, glaube nicht alles so, wie es mir andere sagen, sondern frage und schaue gerne tiefer. Was steckt eigentlich dahinter? Thomas hat vielleicht die noch etwas atemlose Aussage seiner Freunde gehört: Wir haben den Herrn gesehen. Und er wird sich gefragt haben: Was ist denn mit denen los? Irgendetwas haben sie erlebt - aber was?
 
Thomas steht noch ganz unter dem Eindruck der Kreuzigung, dieses schmachvollen und unsagbar qualvollen Sterbens Jesu, seines Herrn. Das war ein Schock, der so tief in den Knochen sitzt, dass er sich nicht einfach beiseiteschieben lässt. Hinter seiner Forderung, seine Finger in die Wundmale Jesu legen zu dürfen, steckt auch das Festhalten an der Wirklichkeit des Kreuzestodes Jesu. Thomas ist nicht bereit, sich irgendetwas schön reden zu lassen, was nicht schön zu reden ist.
An den nach acht Tagen wieder verschlossenen Türen können wir auch schon erkennen, dass das erste „Sehen des Herrn“ auch bei den anderen Jüngern noch keine bis in die Tiefe der Seele reichende Befreiung bewirkt hatte. Und da kommt Jesus wieder und er geht auf Thomas ein: Streck deinen Finger aus – hier sind meine Hände! „Ja, du hast recht, ich bin wirklich am Kreuz gestorben und alles war genauso schrecklich, wie du es in deinem Herzen fühlst. Aber jetzt ist etwas Neues geschehen. Auch das kannst du jetzt fühlen.“ Und dann steht da nichts davon, dass Thomas seine Finger tatsächlich in die Wunden gelegt hätte, auch wenn es in vielen Bildern der Kunst so dargestellt wird. Nein, was Thomas zum Glauben an die Machttat Gottes, die Auferweckung Jesu seines Herrn führt, ist die Annahme, die er durch Jesus erfährt, die Erfahrung, ernst genommen zu werden, und wir dürfen vielleicht annehmen, dass es der liebende Blick Jesu war.
 
Dann kommt da noch diese Seligpreisung, die für all jene da steht, die nach den Aposteln kamen – auch für uns. Ja, so direkt, so sinnlich (wie auch immer das gewesen sein mag), wie Thomas können wir den Herrn nicht sehen. Aber kann jemand wirklich zum Glauben finden, der / die nicht den liebenden Blick Jesu gespürt hat? Kann jemand wirklich zum Glauben finden, wer nicht erfahren hat, von ihm ernstgenommen zu werden? Gläubig zu werden, so tief gläubig, dass wir es nicht mehr für uns behalten können, sondern zu Zeuginnen der Auferstehung werden, das ist ein Prozess. Es ist die Geschichte von Begegnungen, von Erfahrungen, von tiefem Berührt- und Erkanntsein.
 
Ich glaube, Herr -
hilf meinem Unglauben!

Der nächste Eintrag kommt zum Sonntag.

Sr. Ursula Wahle OSB

 
30. Juni 2020, Dienstag der 13. Woche im Jahreskreis

Matthäus 8,23-27

Domine, salva nos, perimus!
 Herr, rette uns, wir gehen zugrunde!

Eine seltsame Geschichte! Beim Nachschlagen in der Vulgata fielen mir die Worte „salva nos“ sowie „qualis est hic“ auf. „Salva nos“ bedeutet auch soviel wie „erlöse uns“, „heile uns“ oder „mach uns gesund“. „Qualis“ ließ mich an „Qualität“ denken, so dass man evtl. auch übersetzen könnte: „Von welcher Qualität, Beschaffenheit, Außergewöhnlichkeit ist dieser Mensch?!“
Der Theologe, ehemalige Priester, Katholik und Psychotherapeut Eugen Drewermann machte in seinen Evangelien-Kommentaren immer wieder darauf aufmerksam, dass die biblischen Geschichten gedeutet werden können, als innerseelische Bilder, Geschehnisse und Hinweise, wie Menschen im Vertrauen wachsen können. Es geht dabei um inneres Reifen, Wachsen und mündiges Menschsein. Ich finde es wirklich sehr interessant und hilfreich, unter solchen Aspekten, Bibeltexte zu betrachten und mit meinem persönlichen Leben vor Gott ins Gespräch zu bringen. Mich führt diese Sichtweise immer wieder in die Weite und die Nähe Gottes.
 
Die obige Geschichte könnte man dann in etwa so verstehen: Es gibt Zeiten, in denen es in mir stürmt, in der Unsicherheit, Dunkelheit und Angst mich innerlich bedrängen. Ich fühle mich womöglich sogar dem Untergang nahe. Und Jesus schläft in meinem Boot, schlummert in mir! Allein diese Tatsache kann mir schon den richtigen Weg weisen: Jesus hat VERTRAUEN zu Gott, mehr als ich. Jesus ist ausgerichtet auf Gott, schaut auf IHN und weiß sich in des Vaters Liebe geborgen. Weshalb sollte ihm da ein Sturm Furcht bereiten? Er wird IHM nichts anhaben können. Natürlich ließe sich die Geschichte aus dem Matthäus-Evangelium noch viel weiter betrachten. Ich habe sie nur anfanghaft umrissen. Aber wie oft hat sich die darin geschilderte Erfahrung schon in meinem vergangenen Leben bestätigt?! Von Angst irritiert, begriff ich erst nach der überstandenen Situation, dass meine Ängste unbegründet und übertrieben waren! Es wäre mir leichter geworden, hätte ich von vornherein mit mehr VERTRAUEN auf Gott geschaut, von dem ich doch weiß, dass er mich sehr liebt und auf mich achtet. Das will ich mir für die Zukunft merken.
  
Gott, Du mein Schöpfer,
 ich DANKE Dir für Deine für mich unfassbar große Liebe zu mir!
 Ich möchte sie immer wieder meditieren,
um mein VERTRAUEN auf Dich zu stärken.
Was kann mir schon passieren?
Mein Name steht in Deiner Hand geschrieben.
 Ich bin Dein!

Der nächste Eintrag kommt zum Freitag.

Sr. Bernadette Tonne OSB

 
27. Juni 2020, 13. Sonntag im Jahreskreis

Zu Jesus passen

Die Worte des heutigen Evangeliums sind keine leichte Kost und die Versuchung, sie irgendwie weichzuspülen, ist relativ groß. Wenn ich so eine Stelle lese, schaue ich erst mal, in welchem Kontext sie steht. Und da stelle ich fest: Der Abschnitt, der vorausgeht, handelt schon von Konfliktsituationen im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu Jesus. Sie spiegeln die Erfahrung der frühen Kirche wider, in der ein Bekenntnis zu Jesus das Zerbrechen der Familienbande bedeuten konnte. Und das war im Alten Orient eine ziemlich bedrohliche Situation, weil damit auch die soziale Sicherheit zerbrochen war. So drastisch sind unsere Erfahrungen heute nicht. Es kann aber durchaus sein, dass wir eine tiefe Entfremdung innerhalb der Familie und auch im Freundeskreis erleben, wenn wir uns für einen Lebensweg entscheiden, der ausdrücklich christlich ist. Wer sich heute zum Eintritt in ein Kloster oder für den Priesterberuf entscheidet, kann nicht unbedingt mit großer Zustimmung rechnen. Auch wer Theologie studiert um anschließend in der Pastoral tätig zu sein, kann leicht verständnisloses Kopfschütteln ernten.

Es geht wirklich um eine Ent-scheidung. Wir müssen eine Scheidung vornehmen eine Unter-scheidung: Was ist in meinem Leben das Wichtigste? Worauf möchte ich mein Leben bauen? Es geht nicht um eine Entscheidung gegen die Familie oder gegen die Freunde, aber eine Entscheidung für Jesus Christus, für Gott, kann eine tiefe Entfremdung von der Familie und ihren Werten mit sich bringen.

Was ist aber mit den Worten gemeint: … ist meiner nicht wert? Es kann nicht gemeint sein, dass jemand der Erlösung durch Jesus nicht wert ist, denn er betet am Kreuz noch für die, die ihn gekreuzigt haben. Wir kennen auch die Szene, in der der reiche Jüngling traurig weg geht und dort steht, dass Jesus ihn liebgewonnen hatte, ihn umarmte. (Mk 10,21) Es geht also nicht darum, dass Jesus sich von uns zurückziehen würde. Die Worte sind an die Jünger Jesu gerichtet, also an die, die sich ihm schon angeschlossen haben. Ich denke, hier ist die ganz persönliche Lebensgemeinschaft, die Schicksalsgemeinschaft mit ihm gemeint. Die können wir nur erfahren, wenn wir uns ganz auf ihn einlassen und dafür auch in Kauf nehmen, dass sich dadurch eine Entfremdung zu Menschen einstellt, die das nicht mitvollziehen können. Das griechische Wort, das hier mit „wert sein“ übersetzt ist, kann auch „passend sein“ meinen. Es ist die Frage, ob wir zu Jesus „passen“ möchten und was uns das wert ist.

Jesus, mein Herr und mein Gott,
nimm alles von mir, was mich hindert zu dir.
Jesus, mein Herr und mein Gott,
gib alles mir, was mich fördert zu dir.
Jesus, mein Herr und mein Gott,
nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen dir.
Nikolaus von Flüe

Der nächste Eintrag kommt zum Dienstag.

Sr. Ursula Wahle OSB

 
26. Juni 2020, Freitag der 12. Woche im Jahreskreis

Matthäus 8,1-4         
  
Vertrauen und Berührung
  
Der Mensch ist ein Beziehungswesen. Zum Leben braucht er andere Menschen, um sich entfalten zu können. Im Tagesevangelium kommt ein Kranker zu Jesus. Er hat schon von ihm gehört. Vielleicht war er auch ein Hörer der Bergpredigt zuvor. Jesu Auftreten und seine Worte haben ihn überzeugt und in ihm VERTRAUEN wachsen lassen: „Ja, dieser außergewöhnliche Mann, der so anders spricht als die Schriftgelehrten, kann mich bestimmt gesund machen,“ denkt er sich.
Der Aussätzige hat einen langen Leidensweg hinter sich. Er musste abgesondert von allen anderen Juden leben, wegen seiner ansteckenden Erkrankung. „Unrein, unrein!“ musste er rufen, um alle zu warnen, die sich ihm näherten.
Doch jetzt bringt er den Mut auf, sich Jesus zu nähern aufgrund seines Vertrauens und seiner Hoffnung. Der Kranke spricht sein Vertrauen Jesus gegenüber aus: „Herr, wenn du willst, kannst du machen, dass ich rein werde.“ Es ist wichtig, dass er das formuliert und ausspricht. Er weiß, was er will! Das ist schon der Anfang der Heilung. Und da geschieht das Wunderbare: Jesus berührt ihn ohne Scheu, ihn, den Unberührbaren. Vertrauen vereint mit Körperkontakt, mit zärtlicher Berührung hat heilende Kraft! Der Bittende wird wieder gesund.
So kann auch heute Heilung geschehen: Durch das Formulieren des eigenen Zieles, durch VERTRAUEN, starkes inneres Überzeugt-sein und durch zärtliche Berührung voller Mitmenschlichkeit, Nähe und Wohlwollen.
Das habe ich selbst in meinem Leben erfahren dürfen. Sie vielleicht auch?!
So kann es in Zukunft wieder geschehen. Allerdings kann der Mensch auch etwas dafür tun: Den eigenen Wunsch, die eigene Vision klar ins Wort fassen, Menschen suchen und finden, denen er vertrauen kann sowie Mut zu Kontakt und Zulassen von Nähe.

Der nächste Eintrag kommt zum Sonntag..

Sr. Bernadette Tonne OSB

 
24. Juni 2020, Hochfest der Geburt des hl. Johannes des Täufers

Erwählt und berufen

Es gibt nur drei Menschen, deren Geburt die Kirche feiert. Es ist die Geburt Jesu, die der Jungfrau Maria und die Johannes des Täufers. Der Grund für die Feier der Geburt Jesu liegt auf der Hand, der für die Feier der Geburt Marias liegt zumindest nah, aber Johannes der Täufer?

Es ist ein biblischer Grund. Das Lukasevangelium erzählt uns von der Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers und verweist damit schon auf seine Erwählung durch Gott von allem Anfang an. In der Lesung aus dem Buch Jesaja hören wir heute die Stelle: Der HERR hat mich schon im Mutterleib berufen; als ich noch im Schoß meiner Mutter war, hat er meinen Namen genannt. Die Menschen erkennen, dass die Hand des HERRN mit Johannes ist (Lk 1,66). Das bedeutet, dass Gott ganz offensichtlich in seinem Leben handelt.

Wenn wir bedenken, dass Johannes „nur“ der Vorläufer des Herrn, der Vorläufer Jesu war und wir in der Nachfolge Jesu stehen und auf seinen Namen getauft sind, dann dürfen wir dieses Erwählungsbewusstsein auch auf uns selbst beziehen. Was wir heute im Blick auf Johannes feiern, gilt auch für uns: Gott hat uns schon im Mutterleib erwählt und hat uns bei unserem Namen genannt. Und auch für uns gilt: Die Hand des HERRN ist mit uns.
Wenn ich auf mein Leben zurückschaue – wie schattig oder sonnig es auch gewesen sein mag – dann darf ich es mit diesem Blick ansehen: Der HERR hat meinen Namen schon im Mutterleib gekannt und niemals hat er ihn vergessen, niemals mich aus dem Blick verloren. Und auch ich habe eine Berufung und eine Sendung. Es wird nicht eine so aufsehenerregende sein, wie die des Johannes, aber es ist eine unverzichtbare und einmalige. Habe ich meine einzigartige Berufung schon erkannt? Könnte ich sie schon benennen? Eines ist jedenfalls gewiss: Ich bin erwählt und berufen, Tochter oder Sohn Gottes zu sein. Wie lebe ich diese Erwählung? Ändert sich etwas an meinem Lebensgefühl, wenn ich mir meine Erwählung durch Gott bewusst mache?
 
Hier einige Verse aus dem Römerbrief und dem 1. Korintherbrief , die uns tiefer in dieses Bewusstsein einführen können:
 
Wenn Gott für uns ist, wer ist dann gegen uns?
Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?
Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert?
Denn ich bin gewiss:
Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte,
weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, weder Höhe oder Tiefe
noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.
 (vgl. Röm 8,31-39)
 
Doch durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und sein gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben.
(1 Kor 15,10)
Der nächste Eintrag kommt zum Freitag.

Sr. Ursula Wahle OSB

 
21. Juni 2020, 12. Sonntag im Jahreskreis

Der Pulsschlag des Herzens Jesu
 
Heute kneife ich ein bisschen vor dem Evangelium. Oder sagen wir es so: Bei dem Evangelium entscheide ich mich noch leichter dafür, etwas zum Herz-Jesu-Fest zu sagen, das wir schon am Freitag gefeiert haben. Das Herz-Jesu-Fest liegt mir wirklich am Herzen.
  
Als ich mit Anfang 20 zum ersten Mal einen Brief von einem Menschen bekam, der mich dann viele Jahre auf meinem geistlichen Weg begleiten sollte, stand darin der Satz: „Alles pulsiert im Schlagrhythmus des Herzens Jesu“. Erst viel später erfuhr ich, dass es eine Anleihe an einen Gedanken des Jesuiten Pierre Teilhard de Chardin war. Dieser hatte eine mystische Theologie entwickelt, die im Herzen Jesu das Zentrum des ganzen Universums erkannte. Dieser Gedanke und diese Vorstellung sind mir bis heute sehr nah.
  
In seiner Menschwerdung hat Jesus die gesamte Schöpfung mit seinem menschlich-göttlichen Herzen umfangen (Kol 1,16 heißt es:  in ihm wurde alles erschaffen, im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare ...) und so pulsiert alles, was uns umgibt schon jetzt im Schlagrhythmus des Herzens Jesu. In ihm leben wir, in ihm bewegen wir uns und sind wir (vgl. Apg 17,28, wo Paulus es über Gott sagt) – ob wir es wissen, ob wir es spüren oder nicht. Der unfassbare, transzendente Gott ist in Jesus Mensch geworden und hat ein menschliches Herz angenommen und dieses menschliche Herz fühlt bis heute mit jedem menschlichen Herzen mit. Es kennt die Gedanken unseres Herzens und versteht uns wie niemand sonst auf der Welt.
  
In einem Tagesgebet heißt es: Bilde unser Herz nach deinem Herzen. Das ist eine große Bitte, denn sie fordert von uns, unser Herz unendlich weiten zu lassen, bis wir keinen Menschen mehr von unserem Mitgefühl ausschließen. In der Regel Benedikts heißt es dazu: Sobald man im klösterlichen Leben und im Glauben Fortschritte macht, weitet sich das Herz, und man geht den Weg der Gebote Gottes in unsagbarer Freude der Liebe.
Jesu Herz wurde am Kreuz von einer Lanze durchbohrt und so entströmte ihm der Quell der Gnade, aus dem wir leben. Im Blick auf das durchbohrte Herz Jesu können wir beten:
 
 
Liebe des Herzens Jesu – entzünde mein Herz!
 Mitleid des Herzens Jesu – ergieße dich in mein Herz!
Kraft des Herzens Jesu – stärke mein Herz!
Erbarmung des Herzens Jesu – verzeihe meinem Herzen!
Geduld des Herzens Jesu – ertrage mein Herz!
Reich des Herzens Jesu – befestige dich in meinem Herzen!
Weisheit des Herzens Jesu – belehre mein Herz!
Wille des Herzens Jesu – verfüge über mein Herz!
Eifer des Herzens Jesu – verzehre mein Herz!
 
 
Der nächste Eintrag kommt zum Mittwoch

Sr. Ursula Wahle OSB

 
18. Juni 2020, Donnerstag der 11. Woche im Jahreskreis

Ich habe die Wahl
Matthäus 6,7-15

„Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.“ (Matthäus 6,14-15)
Wer vergibt wird selbst frei von Groll und Bitternis, wer vergibt, beschenkt andere mit Barmherzigkeit, Freiheit, Leben und neuen Chancen! Es kann eine neue Beziehung wachsen. Ich habe für mich die Vergebung entdeckt. Sie ist für mich eine Quelle der Freude und Kraft. Wer vergibt, gibt dem anderen aktiv etwas, nämlich Barmherzigkeit, Verzeihung und neue Chancen. Und mir selbst bricht dabei kein Zacken aus der Krone, im Gegenteil. Ich vergebe mir nichts, wenn ich vergebe. Doch es braucht die nötige Zeit für die Auseinandersetzung mit der eigenen Verletzung und Zeit für Aufarbeitung, evtl. Dialog, Zeit für den Prozess der Vergebung. Das kann unter Umständen lange dauern. Es ist also nicht gut, vorschnell zu vergeben, weil man dadurch evtl. eigene Gefühle überspringt, die später sicher zurückkehren werden. Vergebung schenken ist nicht leicht und braucht seine Zeit!
Andererseits ist die Verletzung, die ich erfuhr, nicht nur die reine Schuld des anderen. Auch in mir hat sie ihre Ursache. Habe ich nicht selbst auch schon mal andere verletzt? Jetzt holen mich meine verkehrten Taten ein. Der heilige Markos der Asket schrieb einmal: „Die Bedrängnisse, die den Menschen widerfahren, sind Nachkommen ihrer eigenen Missetaten. Wenn wir sie aber im Gebet ertragen, werden wir wieder mit guten Verhältnissen bedacht.“ (Aus der Philokalie, Band 1). Meiner Meinung und Erfahrung nach stimmt diese Aussage.
Auf jeden Fall kann ich mich frei entscheiden für Vergebung, sobald ich innerlich dafür bereit bin. Was wir hingeben, kommt auf uns selbst zurück. Barmherzigkeit strahlt Barmherzigkeit zurück. Ich habe die Wahl. Eine Hilfe kann es sein, zu meditieren, wie Gott mir meine Missetaten vergeben hat, und wie er auch die Untat dessen vergibt, der mich verletzt hat. Dadurch kann in mir ebenfalls Barmherzigkeit mit mir und anderen wachsen.
Vergeben ist keine Schwäche, sondern zeugt von innerer Größe und Stärke. Verzeihung schenken ist eine Schöpfung von Leben und Freiheit für den anderen ebenso wie für mich. Und der Fluss des Lebens kann weiterströmen, weil ich weder mich selbst noch andere durch Unversöhnlichkeit blockiere.
Herr, Du mein Erbarmer, dem ich DANKE, weil
 Du mir alle meine Verkehrtheiten vergeben hast:
Bitte gib mir Kraft, meine Bedrängnisse,
die ich vielleicht selbst verursacht habe, betend zu ertragen.
Zeig mir den Weg zur Vergebung mir selbst und
auch anderen gegenüber.
Ich weiß, das braucht seine Zeit.
Deine Geduld mit mir und allen wird es geschehen lassen.
Befreie mich von meinem Schmerz und lass mich Heilung erfahren.

Der nächste Eintrag kommt zum Sonntag.
 
Sr. Bernadette Tonne OSB

 
16. Juni 2020, Dienstag der 11. Woche im Jahreskreis

Nur die Seligen können das
 
In diesen Tagen hören wir Abschnitte aus der Bergpredigt. Diese Bergpredigt wurde von vielen großen Menschen auch anderer Religionen, so z.B. von Mahatma Gandhi, mit Ehrfurcht bedacht. Mir selbst – und vermutlich nicht nur mir – kam sie lange als Überforderung vor. Dabei ist die Feindesliebe, von der wir heute hören, noch relativ harmlos, solange man keine echten Feinde hat. Christen in Syrien aber, die aufs Grausamste verfolgt und gequält wurden, war dieses Gebot sicher eine existentielle Herausforderung. Christian de Chergé, der Prior der Trappisten, die 1996 in Algerien ermordet wurden, hat einen tief bewegenden Abschiedsbrief hinterlassen, in dem er den Menschen, der ihn einmal töten würde – damit hat er gerechnet – den Freund seiner letzten Stunde genannt.
  
Mir ist vor einiger Zeit klar geworden, dass die Bergpredigt mit ihren scheinbar so radikalen Forderungen, nur zu verstehen ist, wenn wir die Seligpreisungen am Anfang als ihren „Notenschlüssel“ erkennen. Jesus preist die Armen, die Bedürftigen, die Gewaltlosen, die Trauernden selig und spricht ihnen damit etwas zu, was sie aus sich selbst heraus nicht haben. Die darauf folgenden Forderungen der Bergpredigt sind nicht moralisch zu verstehen, sondern es ist – so erscheint es mir – so gemeint: Wenn ihr zu den Seliggepriesenen gehört, dann wird es euch möglich sein, auch die andere Wange hinzuhalten, auch noch den Mantel zu geben, die Ehe nicht zu brechen usw. Nur wer stark ist, weil Gott ihn / sie stark gemacht hat, ist zu so etwas fähig. Und diese Stärke können wir nur erlangen, wenn wir uns ganz auf die Nähe, den Beistand, die Güte Gottes verlassen. Das ist das eigentliche Ringen, worum es geht. Nur dann haben wir auch die Kraft, unsere Feinde zu lieben (womit nicht ein Gefühl gemeint ist, sondern Fürsorge, Verantwortung und Erkennen).
 
Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
dass ich den Glauben bringe, wo Zweifel droht;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.
Herr, lass mich trachten, nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer sich hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben. Amen.

Der nächste Eintrag kommt zum Donnerstag.
 
Sr. Ursula Wahle OSB

 
14. Juni 2020, 11. Sonntag im Jahreskreis

Sende uns!
  
Hier der Link zu den Lesungstexten des Tages:

Wenn ich das Evangelium von heute lese, dann kommen mir sofort Gedanken, die mich seit der Corona-Zeit, in der wir unsere Gottesdienste ohne Priester gefeiert haben, beschäftigen. Was ist eigentlich Kirche? Was ist die Sendung der Kirche? Welche Stellung hat das Weihe- oder Amtspriestertum in der Kirche?

Jesus ist von Mit-leid bewegt. Mit-leid bedeutet, Leiden zu spüren, selbst Schmerz zu empfinden, selbst Tränen aufsteigen zu lassen. Und aus diesem tiefen Berührt- und Involviertsein sich einem Menschen zuwenden. Und so lautet dann der Auftrag Jesu an die Apostel auch: Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nah! Welch tröstliche Botschaft! Und dann wir es konkret: Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Wenn Jesus uns dazu aufruft, um Arbeiter für die Ernte zu bitten, dann meint er, dass wir um Menschen beten sollen, die das können: Kranke heilen, Tote auferwecken, Aussätzige rein machen und Dämonen austreiben. Und das ist auch im übertragenen Sinne gemeint. Es gibt so viele Arten von Krankheiten, von Tot- und Aussätzigsein, von Besessenheit (denken wir nur an die unzähligen Workaholics!).

Jesus trägt den Aposteln nicht auf, Sakramente zu spenden oder die Eucharistie zu feiern. Dazu findet sich keine Andeutung. An anderer Stelle gibt Jesus den sogenannten Taufbefehl und setzt die Eucharistie ein. Die Sakramente wie wir sie heute kennen, sind aber erst später entstanden. Sie dienen dem Aufbau des Volkes Gottes, der Kirche. Die Kirche selbst hat aber einen anderen Auftrag und den nennt Jesus hier.

In der ersten Lesung aus dem Buch Exodus heißt es: Mir gehört die ganze Erde, ihr aber sollt mir als ein Königreich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören. Diese Worte, die Gott einst zum Volk Israel gesprochen hat, dürfen wir auch auf uns, auf die Kirche beziehen. Dazu habe ich auch am 10. Mai schon etwas geschrieben. Das Evangelium und dieser Abschnitt aus dem Buch Exodus sind durch die Leseordnung aufeinander bezogen. Ein Königreich von Priestern ist also eines, das Kranke heilt, Tote auferweckt …

Jesus selbst kam nicht aus einem priesterlichen Geschlecht. Er war kein Priester. Die Apostel waren keine Priester. Mir wird immer deutlicher, dass das Weihepriestertum, diesem allgemeinen Auftrag Jesu an die ganze Kirche untergeordnet ist. Es hat dienende Funktion. Vielleicht wäre es gut, auch im Blick auf unsere Erfahrung in der Corona-Zeit, neu zu überdenken, welche Aufgabe die geweihten Priester haben und welche, die ihnen im Laufe der Jahrhunderte zugewachsen sind, eben auch nicht. Und vielleicht fragen wir uns erst danach, wenn wir das neu verstanden haben, wer zum Weihepriestertum zugelassen wird.

Das sind meine ganz persönlichen Gedanken und ich möchte Sie damit einfach zum Weiterdenken und zum Weiterbeten einladen. Aber vor allem geht es mir darum, dass wir verstehen und zutiefst davon überzeugt sind, dass wir alle zu den Arbeitern gehören, die für die Ernte zuständig sind.
 
Guter Gott,
sende Frauen und Männer,
die sich von echtem Mit-leid ergreifen lassen,
die fähig sind eigene und fremde Wunden zu heilen,
die bereit sind, die Dämonen zu entlarven, von denen sie getrieben werden,
und die so mit Einfühlungsvermögen andere zur Erkenntnis zu führen.
Sende Männer und Frauen,
die auch nicht vor Aussatz zurückschrecken,
und die den Mut haben, Tote zum Leben zu erwecken.
Guter Gott,
öffne unsere Herzen durch die Erfahrung von Mit-leid und Schmerz
und sende uns!
 
Der nächste Eintrag kommt zum Dienstag.
 
 
Sr. Ursula Wahle OSB

 
11. Juni 2020, Hochfest des Leibes und Blutes Christi Fronleichnam

Fronleichnam
  
Das müssen Sie zuerst wissen: Ich komme aus dem katholischen Rheinland, wo Fronleichnam nicht nur ein kirchliches Hochfest, sondern selbstverständlich auch ein staatlicher Feiertag ist. Von Kindheit an habe ich an Fronleichnamsprozessionen teilgenommen, bei denen die Messe erst im Freien an einem mit einem großen Blumenteppich geschmückten Altar gefeiert wurde. Der Altar war von Schützen mit Ihren Fahnen umgeben und der Platz davor von Kommunionkindern in weißen Kleidern und schwarzen Anzügen bevölkert. Das war ein wunderbares kirchliches Volksfest, bei dem jedes Jahr um das gute Wetter gezittert wurde. Als ich 2016 mein erstes Fronleichnamsfest in Niedersachsen erlebte, war das für mich ein Kulturschock.
 
Dazu kommt noch, dass wir als Benediktinerinnen vom Heiligsten Sakrament das Fronleichnamsfest außerordentlich hochschätzen, weil es die Mitte unseres Charismas berührt, die eucharistische Anbetung. In diesem Corona-Jahr wird das Fest in Hinblick auf die äußere Gestaltung noch sparsamer ausfallen – mit einem Gottesdienst vor dem Dom und einer anschließenden Prozession um die Große Domsfreiheit rechne ich hier in Osnabrück nicht. Und wenn ich ehrlich bin, weint darüber auch nur die Hälfte meines Herzens, nämlich die verspielte, feierlustige Seite, die auch mal Freude hat an einem bunten, kirchlichen Volksfest. Die andere Seite, die über die spirituelle Dimension des Festes nachdenkt, atmet eigentlich eher auf.
 
Fronleichman ist das Fest der Verehrung Christi in der heiligen Eucharistie, seiner leibhaftigen Gegenwart – wenn auch verborgen unter der Gestalt des Brotes. Thomas von Aquin hat diesen großen Hymnus „Adoro te devote“ (Gottheit tief verborgen) gedichtet und damit die Unaussprechlichkeit des Geheimnisses doch versucht in Worte zu fassen. Gerade die stille Eucharistische Anbetung gibt uns aber die Möglichkeit, selbst schweigend, staunend, anbetend vor dem lebendigen Gott da zu sein. Mit Anbetung meine ich jetzt die schlichte Geste des sich Niederwerfens vor Gott. Wir knien, wir verneigen und bis zur Erde, wir verharren schweigend in seiner Gegenwart. Das ist ja quasi das Gegenteil der volksfestlichen Prozession. Ich zeige Ihnen hier ein Foto aus der Kirche der Benediktinerinnen vom Heiligsten Sakrament in Craon / Frankreich, wo ich im Frühjahr war. Die Schwestern dort halten noch gemeinsam mit Gläubigen von außerhalb 24 Stunden Anbetung. Die moderne Monstranz zeigt den Lebensbaum, der auch Symbol für die Heiligste Dreifaltigkeit ist. Denn Gott ist ganz in der Eucharistie gegenwärtig: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Der Altar wird von Händen getragen, die sowohl die Hände des Vaters (was natürlich sehr menschlich gesehen ist), als auch die betenden Hände des Mose zeigen. Es sind auch unsere Hände, die wir stellvertretend für die ganze Menschheit zu Gott erheben.
Vielleicht haben Sie die Möglichkeit, heute irgendwo eine Zeit der stillen Anbetung zu halten. Halten Sie sich Gott hin und in Ihrem Herzen bringen Sie die Welt vor ihn, Ihre kleine, überschaubare und die weite Welt, die niemand mehr überschaut, durchschaut – nur Einer, der HERR!
 
Gottheit tief verborgen, betend nah ich dir.
Unter diesen Zeichen bist du wahrhaft hier.
Sieh, mit ganzem Herzen schenk ich dir mich hin,
weil vor solchem Wunder ich nur Armut bin.

Der nächste Impuls erscheint zum Sonntag.
 
 
Sr. Ursula Wahle OSB

 
9. Juni 2020, Dienstag der 10. Woche im Jahreskreis

1 Könige 17,7-16 und Matthäus 5,13-16
Gute Arbeit = Vertrauen und Licht
 
„Der Mehltopf wird nicht leer werden und der Ölkrug nicht versiegen.“ (1 Könige 17,14)
„So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke (englische Fassung: „good works“) sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ (Matthäus 5,16)
 
Vertrauen wächst aus tatkräftigem Glauben und mutigem Wagen und führt auch dorthin (siehe 1 Könige 17,7-16). Mühevolles Arbeiten führt zum lichten Dasein (siehe: Matthäus 5,13-16). Diese beiden Sätze beschreiben Erfahrungen, die ich in meinem Leben machen durfte und die die beiden Schriftstellen für mich u. a. auch aussagen. Im ersten Testament wird beschrieben, dass es das Glück der armen Witwe war, dass sie Elija traf. Das war kein Zufall, sondern geschah ihr zu-fallend von Gott her. Er sorgte für Elija und die Witwe von Sarepta, eine Heidin! Sie lässt sich auf Elijas Bitte ein. Sie hofft und glaubt seinem überzeugenden „Fürchte dich nicht!“. Sie wird tätig und speist zuerst Elija. Danach erfährt sie, dass ihr Vertrauen ihre Existenz gesichert hat sowie die ihres Sohnes. Die Witwe wagte und gewann.
 
Bei dem Matthäus-Text fielen mir in der englischen Fassung die Worte „good works“ auf (= gute Werke). Im ersten Moment dachte ich an gute Arbeit! Und das erinnerte mich an etliche Situationen, in denen ich nicht selten hart gearbeitet hatte für ein Ziel. Meist wurde ich überreich beschenkt mit Licht und Freude. Ich war dabei selbst zu einem Licht für mich und vielleicht auch für andere geworden, weil ich durch und in meinen Mühen innerlich gewachsen war und reifer geworden war, auch dann, wenn ich das eigentliche Ziel nicht erreichte.
So etwas kann auch in einem scheinbar banalen Bereich geschehen, z. B. beim Thema Aufräumen. Ich fühlte mich unzufrieden wegen einiger Unordnung und fehlender Übersicht. Ich packte an, räumte auf und das befreite Gefühl danach war so überwältigend und die positiven Auswirkungen so groß, das mir auffiel, dass dies gar nichts banales sein konnte, sondern wichtig für meine Entfaltung. Ich lebte diese Momente des Aufräumens in Gottes Gegenwart, und ER mit mir. Es ist ein zauberhaftes und brillantes Geschehen. Erleben Sie selbst solche Gefühle, dann verstehen Sie, was mich daran so begeistert. Vielleicht kennen Sie es auch bereits aus eigener Erfahrung. Falls nicht, probieren Sie es aus.
Fast täglich erfreut mich ein Zitat von Helen Keller, einer außergewöhnlichen Amerikanerin: „Wenn wir unser Bestes geben, wissen wir nie, welches Wunder in unserem Leben oder im Leben eines anderen Menschen vollbracht wird.“
Alles dies ist wunderbar, so dass spontan mein Dankgebet zu Gott emporsteigt, zu IHM, der uns mehr als alles schenkt.
Der nächste Impuls erscheint am Donnerstag.
 
 
Sr. Bernadette Tonne OSB

 
7. Juni 2020, Dreifaltigkeitssonnntag

Gott ist sich einig

Das heutige Fest der Dreifaltigkeit ist ein sogenanntes „Ideenfest“ – nur kommt uns schwer eine Idee, was es konkret bedeutet. Wie können wir von der Dreifaltigkeit, der Dreieinigkeit Gottes sprechen, ohne uns in abstrakten Gedankengebäuden zu verlieren, die niemandem einleuchten? Die frühe Kirche hat in den ersten Jahrhunderten um die Frage gerungen, wie sie an dem einen Gott festhalten und trotzdem von drei „Beteiligten“ sprechen kann, von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Sie hat dann Anleihen bei der griechischen Denkweise gemacht, die uns heute mehr Fragen als Antworten gibt.

Neuere Theologen haben Ansätze entwickelt, die mir sehr viel mehr sagen und die mir verständlich erscheinen. Einer sagt es so: Die Einheit Gottes in Vater, Sohn und Heiligem Geist besteht in der Einheit im Wollen, im Handeln und in der Liebe. Ein anderer sagt: Einheit ist keine in sich abgeschlossene Selbstgenügsamkeit. … Die heilsgeschichtliche Offenbarung des christlichen Gottes offenbart uns (aber) eine tiefe Lebens-, Willens- und Handlungsgemeinschaft von Vater, Sohn und Geist.

Mit meinen Worten möchte ich es so sagen: Gott, der Vater und Jesus Christus, den wir als den Sohn bezeichnen, und der Heilige Geist haben die gleichen Absichten, sie wollen das Heil der Welt, sie handeln gemeinsam und bilden somit die engst mögliche Lebensgemeinschaft in Liebe. Zwischen Vater, Sohn und Geist gibt es kein Geziehe und Gezerre um den richtigen Weg und das gemeinsame Ziel. Alles, was Jesus in seinem Leben getan und gesagt hat, hat er in vollkommener Übereinstimmung mit dem Willen Gottes getan. Und als er den Jüngern nach der Auferstehung seinen Geist einhauchte, hat er ihnen den Auftrag gegeben in Übereinstimmung mit seinem und des Vaters Willen das Evangelium in die Welt zu tragen.
Das ist unsere Situation. Wenn die Einheit unter den drei göttlichen Personen durch die tiefe Übereinstimmung in Wollen, Handeln und Lieben besteht, dann kann auch unsere Einheit nur genau darin bestehen.

So bekommt das „Ideenfest“ auf einmal einen ganz konkreten Inhalt. Es geht um unser alltägliches Leben, um unsere konkrete Lebensgestaltung. So wie der dreifaltige Gott sich in tiefster Übereinstimmung um das Heil des Menschen und seiner ganzen Schöpfung „dreht“, so soll das auch unser ganzes Wollen, Handeln und Liebe bestimmen. Wir sind berufen, am göttlichen Handeln in unserer Welt teilzunehmen!

 
Du, Gott Vater,
du richtest uns auf.
Du, Gott Sohn, Jesus Christus,
du trägst uns in der Tiefe.
Du, Gott, Heiliger Geist,
du erfüllst uns mit der Kraft aus der Höhe.
Heiliger dreifaltiger Gott,
in dir leben wir, bewegen wir uns und sind wir.
Du barmherzige Dreieinigkeit,
erfülle uns mit deinem Erbarmen,
schaffe uns neu
nach deinem Bild,
der du lebst und Leben schenkst in Ewigkeit. Amen.

Der nächste Eintrag kommt zum Dienstag.
 
 
Sr. Ursula Wahle OSB

 
4. Juni 2020, Freitag der 9. Woche im Jahreskreis, Hl. Bonifatius - Fest

Der Kirche Pilgerkleid
 
Heute feiern wir das Fest des heiligen Bonifatius, eines Mannes der Kirche, der in seinem Leben rastlos unterwegs war. Er ist 673 geboren, kam aus England, zog durch Germanien, reiste – unter den damaligen Bedingungen! – mehrfach nach Rom und kam schließlich bei einer Missionsreise zu den Sachsen durch einen Mord ums Leben. Bonifatius war als Kirchenmann und Organisationstalent, durchaus auf Macht bedacht, und er blieb ein Leben lang ein Pilger.
  
Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sprechen wir von der Kirche als dem pilgernden Volk Gottes. Mich spricht dieses Bild vom pilgernden Volk an. Wir ziehen durch die Jahrhunderte und wir jetzt gerade ziehen eben durch das Jahr 2020, durch das Jahr der Corona-Pandemie. Ich habe dieses Bild schon einmal aufgegriffen und die Frage gestellt, was wir auf unserem Weg mitnehmen und was wir am Ziel unbedingt noch dabeihaben müssen. (Eintrag zum 11. Mai)
Heute frage ich nach dem Kleid, das wir auf diesem Weg tragen. In dem Lied „Der Geist des Herrn erfüllt das All“ (GL 347) von Marie Luise Thurmaier heißt es in der letzten Strophe: „Da schreitet Christus durch die Zeit in seiner Kirche Pilgerkleid“. Wie sieht denn dieses Pilgerkleid aus? Wie sieht denn überhaupt ein Pilgerkleid aus? Es ist gewiss ein schlichtes Kleid, das nicht viel Pflege erfordert, eines das was aushält, strapazierfähig, sicher nicht immer tiptop im Schuss und blütenrein. Mir fällt der heilige Rock ein, der in Trier als Gewand Christi und als Symbol für seine wahre Menschheit verehrt wird. Es ist ein ganz schlichtes Kleid, kein Schmuck, keine „Passform“, mehr ein Überwurf, eben eine Tunika. Selbst wenn es vermutlich nicht tatsächlich das Kleid ist, das Jesus getragen hat, ist es diesem doch ähnlich.
  
Das Kleid, das wir Benediktinerinnen tragen, sieht immer noch so aus, nur schwarz, in der Mitte ein Gürtel drum und eine Art Schürze drüber, fertig. Bei den Frauen kommt dann noch der Schleier dazu. Es ist ein Gewand aus einer anderen Epoche und wirkt heute eher befremdlich als schlicht. Aber es kommt mehr darauf an, wie ich es trage. Der Habit, so nennt man unser Ordenskleid, soll zum Habitus werden.
  
Das scheint mir auch eine gute Orientierung für die Kirche als pilgerndes Gottesvolk zu sein: Wir müssen einen Habitus erwerben, einen Habitus der Schlichtheit, der Nützlichkeit, der Unaufwändigkeit. Nicht viel Aufhebens um unsere äußere Erscheinung machen, sondern alle Aufmerksamkeit auf das Unterwegssein legen und das Ziel nicht aus dem Auge verlieren. Und immer im Sinn behalten, für wen wir unterwegs sind.
  
Im Evangelium heißt es heute: Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Jesus hat uns aufgetragen das Evangelium von Tod, Auferstehung und Ewigem Leben in die Welt zu tragen. Für mich ist Papst Franziskus ein überzeugendes Vorbild für einen solchen Jesus-Pilger: Ein schlichtes Gewand, ein glühendes Herz, ein klares Ziel und immer im Sinn, für wen er geht.
 

Du Gott des Aufbruchs,
segne uns,
wenn wir deinen Ruf vernehmen,
wenn deine Stimme lockt,
wenn dein Geist uns bewegt,
zum Aufbruch und Weitergehen.
Du Gott des Aufbruchs,
sei mit uns unterwegs zu uns selbst,
zu den Menschen, zu dir.
So segne uns mit deiner Güte
und zeige uns dein freundliches Angesicht.
Begegne uns mit deinem Erbarmen;
und leuchte uns mit dem Licht des Friedens
auf all unseren Wegen.
Aus: Michael Kessler, GL 13.5
Der nächste Eintrag kommt zum Sonntag.

Sr. Ursula Wahle OSB


Mittwoch, 3. Juni 2020       
                     
Markus 12,18-27
 
Reif werden zum Tode
 
„Jesus sagte zu ihnen: Ihr irrt euch, ihr kennt weder die Schrift noch die Macht Gottes.“
„Er ist doch nicht ein Gott von Toten, sondern von Lebenden.“ (Markus 12,24.27)
 
„Den unberechenbaren Tod täglich vor Augen haben.“ (Regula Benedicti 4,47). Diese Worte gibt der heilige Benedikt seinen Mönchen mit auf den Weg. Gott ist ein Gott von Lebenden. Deshalb freue ich mich auf meinen Tod! Solch eine Aussage mag Ihnen vielleicht seltsam vorkommen. Aber sie stimmt. Denn jahrelang habe ich mich auf meinen Tod aktiv vorbereitet, habe gesucht, gekämpft und mich abgemüht, um mich auszusöhnen mit mir selbst, meinen Schattenseiten, meiner Umwelt, meinen Mitmenschen und ja, auch mit Gott. Ich wollte bereit sein für den Tod, genauer gesagt, für die Zeit zu der ich sterbe. Denn den Tod kann ich ja nie erleben! Meine Überzeugung ist, dass ich im Sterben umgewandelt werde und mich dann in neuer Lebensform wiederfinden werde. Gott ist ein Gott der Lebenden. Ja, ich glaube an ein Leben nach dem Tod! Wie das dann sein wird, weiß ich natürlich nicht, doch hoffe ich, es dann zu erleben. Mein „Heute-zum-Sterben-bereit-sein“ war und ist mir sehr wichtig! Jetzt fühle ich mich frei. -  Aber es ist noch nicht soweit. Deshalb werde ich geduldig warten, und mich in der Zwischenzeit weiterhin bemühen, erwachsener und reifer zu werden. Frau Dr. Kübler-Ross, die bekannte Sterbeforscherin schrieb einmal ein Buch mit dem Titel „Reif werden zum Tode“. Das ist auch mein Motto.
 
Doch ich möchte noch einmal die Worte des heiligen Benedikt aufgreifen. Sie sind mir sehr wesentlich geworden. Wenn ich den Gedanken an meinen Heimgang jeden Tag im Blick behalte, kommen bei mir Fragen auf, deren Antworten für mich wegweisend sein können. Wie will ich mich heute konkret verhalten, z.B. meinen Mitmenschen gegenüber? Ist das, was ich tun will, wirklich sinnvoll und wichtig? Vieles, was mir im Alltag begegnet relativiert sich, wirkt unter dieser Perspektive banaler (obwohl auch das zum Leben dazugehört), beunruhigt mich deshalb vielleicht weniger. Bei manchem Alltäglichen kann ich so gelassener bleiben. Natürlich überprüfe ich auch mein Handeln, ob ich es vor meinem Gewissen verantworten kann. Mein Gesamteindruck ist, dass der Gedanke an meinen Tod für mich hilfreich und heilsam ist. Ich freue mich wirklich auf das neue Leben nach dem Sterben.
 
Gott, Du mein Vater!
 Segne mein Leben und segne mein Sterben!
 Du bist stets bei mir und verlässt mich auch im Sterbeprozess nicht.
Auf Dich hoffe ich.
 Für dieses irdische Leben danke ich Dir, wie ich die Chancen habe,
auf den Tod hin, den Hinübergang hin zu reifen.
Bitte steh mir bei mit Deinen Gnadenkräften,
 wenn es soweit ist, und erbarme Dich aller Menschen,
die sich fürchten vor dem Tod, die Mühe haben, sich auszusöhnen,
 oder die gar ohne Hoffnung sind.
Lass den Lichtschimmer Deiner Liebe in ihr Herz fallen.
 
Der nächste Impuls erscheint am Freitag oder Samstag.


Sr. Bernadette Tonne OSB

Benediktinerinnen vom Heiligsten Sakrament Osnabrück
Gottesdienste

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Samstags
Komplet und
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Eucharistiefeier: 07:30 Uhr
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